192 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Recht fortgelten soll oder nicht. Diese teils in Einführungsgesetzen (früher „Publikations-
patenten"), teils in Schluß- oder Übergangsbestimmungen enthaltenen Rechtssätze haben nur
vorübergehende Bedeutung. Gegenwärtig aber sind gerade in Deutschland die das Ver-
hältnis zwischen dem neuen und dem alten Privatrecht ordnenden Einzelvorschriften (bes. EG.
zum BG#B. a. 153—218) von hoher praktischer Wichtigkeit.
Die Tragweite des Prinzips der Nichtrückwirkung für die Privatrechtssätze wird
herkömmlicherweise durch den aus ihm abgeleiteten Folgesatz bestimmt, daß neue Rechtssätze
nicht in erworbene Rechte (iura quaesita) eingreifen. Unter erworbenen Rechten versteht
man dabei diejenigen nach Maßgabe des alten Rechts entstandenen subjektiven Rechte, die aus
einem besonderen Rechtsgrunde von einem bestimmten Subjekt erworben sind. Dahin ge-
hören einerseits nicht bloße Rechtshoffnungen (z. B. die Erbaussicht, anders die Erbanwart-
schaft), andererseits nicht die allgemeinen gesetzlichen Rechte aller Personen oder gewisser
Personenklassen. Dagegen gehören dahin auch die durch Privileg individuell begründeten
Rechte. Und jedes Recht ist mit seinem ganzen Wirkungsinhalte erworben. Auch die er-
worbenen Rechte aber müssen sich Eingriffe gefallen lassen, ohne die keine große Privatrechts-
reform denkbar ist. Vielfach werden daher infolge Neuordnung eines Rechtsinstituts auch die
unter dem alten Recht entstandenen Rechtsverhältnisse inhaltlich verändert (so nach EG.
a. 180—181 Besitz und Eigentum, während nach a. 184 andere dingliche Rechte mit ihrem bis-
herigen Inhalt fortbestehen). Oft wird auch ein Rechtsinstitut völlig in der Weise abgeschafft,
daß die entsprechenden Rechtsverhältnisse nicht bloß nicht neu entstehen, sondern auch nicht fort-
bestehen können (z. B. Hörigkeit, feudale und patrimoniale Rechte, Zunftprivilegien). In
solchen Fällen ist jedoch, insofern mit der Veränderung oder Aufhebung erworbener Rechte
ein Vermögensverlust verbunden ist, eine Entschädigung gerecht. Sie ist in Deutschland meist
gewährt. Wird sie nicht gewährt, so gibt es freilich keinen klagbaren Anspruch auf Gewährung.
Literatur: Zu 1. vgl. den besonderen Abschnitt über das Verhältnis des Reichsrechts zum
Landesrecht. — Zu 2. vgl. den Abschnitt über internationales Privatrecht. — Zu 3.: v. Wächter,
Württ. Privatr. II 152 ff. v. Savigny, System VIII 368 ff. Lassalle, Das System
der erworbenen Rechte, 1862, 2. Aufl. (von L. Bucher) 1880. Schmid, Die Herrschaft der
Gesetze nach ihren (räumlichen und) zeitlichen Grenzen, 1863. H. Göppert, Gesetze haben
keine rückwirkende Kraft, hrsg. u. ergänzt v. E. Eck, Jahrb. f. Dogm. XXII 1 ff. Pfaff u.
Hofmann, Komm. I 156 ff., Exkurse I 112 ff., 361 ff. G. Meyer, Der Staat und die er-
worbenen Rechte, 1895. Affolter, Das intertemporale Pirvatrecht, 1902. — H. Habicht,
Die Einwirkung des BGB. auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, 3. Aufl., 1901.
Kapitel III. Die Nechtsverhältnisse.
§ 12. Inhalt der Rechtsverhältnisse. Dem Recht im objektiven Sinne steht das Recht
im subjektiven Sinne als Inbegriff der äußeren Willensbestimmtheiten gegenüber. Das sub-
jektive Recht setzt sich aus Willensmacht und Willensgebundenheit zusammen. Seine Ele-
mente sind daher Rechte (Befugnisse) und Pflichten (Verbindlichkeiten). Rechte und Pflichten
verbinden sich zu Rechtsverhältnissen. Die Gesamtheit der Rechtsverhältnisse konstituiert das
Rechtsleben. Das subjektive Recht als die äußere Betätigungsform der menschlichen Freiheit
ist vom subjektiven Recht nicht geschaffen, wird aber von ihm in formell souveräner Weise ge-
staltet (die „angeborenen Menschenrechte“ der Naturrechtslehre sind nur Postulate der Rechts-
idee). Im älteren deutschen Recht flossen objektives und subjektives Recht vielfach zusammen:
ganze Inbegriffe von Rechtssätzen erschienen als „Freiheiten“ eines Herrn oder einer Stadt,
Rechtsverhältnisse wieder nahmen die Form von Rechtssätzen an. Wir müssen objektives und
subjektives Recht begrifflich trennen, aber an dem germanischen Gedanken festhalten, daß sie
nur die beiden zusammengehörigen Seiten der Gesamterscheinung „Recht“ sind.
Rechte und Pflichten fordern ein Subjekt. Subjektlose Rechte gibt es nicht. Das
Rechtssubjekt heißt „Person“, die Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben, „Persönlichkeit".
Personen können nur Willensträger (aber auch Träger eines unentwickelten oder gelähmten
Willens) sein. Nach heutiger Anschauung sind nur menschliche Willensträger Personen; im
älteren deutschen Recht finden sich Spuren einer Vorstellungsweise, für die einerseits über-
irdische Subjekte (Gott und die Heiligen) in die Rechtswelt hineinreichen, anderseits Tiere ein