Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 195 
gemeine gesetzliche Rechte mit der Persönlichkeit überhaupt oder als besondere gesetzliche Rechte 
mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personenklasse (z. B. Stand, Geschlecht, Altersstufe) 
verknüpft sein. Im letzteren Falle spricht man auch von Privilegien i. w. S. Möglich ist 
aber auch, daß unmittelbar durch Rechtssatz ein einzelnes Rechtsverhältnis begründet wird. 
Dann liegt ein Privileg i, e. S vor. Den Namen Privileg gebraucht man hierbei sowohl 
für den Rechtssatz, der sich in der Ordnung eines konkreten Verhältnisses erschöpft, wie für das 
auf ihm beruhende subjektive Recht (überwiegt eine Pflicht oder Last, so spricht man von privi- 
legium odiosum). 
Das Privileg wurde im Mittelalter mehr und mehr das Gewand, in das sich alles 
Sonderrecht kleidete. Seit der Rezeption wurde die zugleich mit der Rechtserzeugung zer- 
splitterte Privilegiengewalt bei Kaiser und Landesherrn konzentriert. Die Jurisprudenz ent- 
wickelte nunmehr eine besondere Theorie der Privilegien, die sie als eine eigene Gattung von 
Rechten behandelte. Unter dem Einflusse des Naturrechts wandte sie sich gegen die Privi- 
legien, bildete die Einrede der Erschleichung aus und suchte die Aufhebung durch die Unter- 
scheidung von anderen erworbenen Rechten zu erleichtern. Unzählige Privilegien sind weg- 
geschwemmt, andere in allgemeine Rechte übergegangen (z. B. Privilegien gegen Nachdruck, 
Erfindungspatente). Doch gibt es auch heute Privilegien, und Privilegien sind auch heute 
für Ausnahmeverhältnisse oder singuläre Neubildungen gerechtfertigt. 
Begründet wird ein Privileg ausschließlich durch einen konkreten Rechtssatz (Recht- 
setzung in Gesetzesform oder kraft gesetzlicher Ermächtigung in Verwaltungsform; möglicher- 
weise auch Gewohnheitsrechtssatz). Ein vorangehender Vertrag oder eine gewährte Gegen- 
leistung ist nur Beweggrund (früher unterschied man priv. legalia und conventionalia, lucra- 
tiva und onerosa). 
Inhaltlich unterscheidet sich das so begründete Rechtsverhältnis nicht von einem 
gleichartigen auf anderem Wege begründeten Rechtsverhältnis. Das Recht aus dem Privileg 
kann als Personalrecht einer Verbandsperson oder Einzelperson und im letzteren Falle unver- 
erblich, beschränkt (z. B. nur auf Nachkommen) vererblich oder frei vererblich zustehen oder als 
Realrecht an einem Grundstück hängen. Ebenso kann es seinem Gegenstande nach Persönlich- 
keitsrecht, Sachenrecht, Forderungsrecht, Erbrecht usw. sein. 
Beendigt wird das Privileg entweder durch Wegfall des Rechtssatzes oder durch Er- 
löschen des Rechts. In beiderlei Hinsicht gelten die gewöhnlichen Regeln. Dagegen bildete 
die ältere Lehre besondere, zum Teil in ältere Gesetzbücher (z. B. Preuß. ALR. Einl. § 72) 
übergegangene Erlöschungsgründe aus: einerseits gesetzgeberischen Widerruf ex justa causa 
mit oder auch ohne Entschädigung, andererseits Rechtsverwirkung durch groben Mißbrauch 
(mitunter auch durch Nichtgebrauch). 
§ 15. Einfluß des Zeitablaufes. Der Ablauf der Zeit wirkt entweder kraft Recht- 
satzes oder kraft behördlicher Verfügung oder kraft rechtsgeschäftlicher Bestimmung auf die Ge- 
staltung der Rechtsverhältnisse ein. Für die Berechnung der rechtlich erheblichen Fristen (Zeit- 
räume) oder Termine (Zeitpunkte) gelten besondere Regeln, die zum Teil (wie z. B. die Be- 
rechnung von Monatsfristen nach dem Kalender) dem deutschen Recht entstammen. Eine be- 
sondere Rolle spielte im älteren deutschen Recht die Frist von „Jahr und Tag“, die, ursprüng- 
lich wörtlich verstanden, später ein Gerichtsjahr bedeutete und in der Regel 1 Jahr 6 Wochen 
3 Tage betrug. 
Für vielerlei Rechtsverhältnisse galt im deutschen Recht das Institut der Verschwei- 
gung: wer einen Zustand als unrechtmäßig anfechten kann, verwirkt sein Anfechtungsrecht, 
wenn er ihn nicht in rechter Frist gehörig anficht. Grundlage ist in manchen Fällen (vor allem 
gegenüber der durch gerichtliche Auflassung erworbenen Gewere, ferner bei erblosem Nachlaß 
und bei gefundenen Sachen) ein richterliches Aufsgebot. In anderen Fällen (wie schon nach 
der lex Salica bei der Ansiedlung des Gemeindefremden, später bei dem Verschweigen der 
Lehnsfolge, bei dem Stadtrechtssatze „die Luft macht frei") läuft die Frist von selbst. Rechte 
Frist ist meist Jahr und Tag. Gehörige Anfechtung ist regelmäßig nur „rechte“ (gerichtliche) 
Widersprache. Für die Unmündigen, Abwesenden oder sonst durch „echte Not“ Gehinderten 
läuft die Frist erst von der Mündigkeit, Rückkehr oder Beseitigung des Hindernisses an. Die 
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