206 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
sich abschlossen, wurde so vermehrt, daß die Reichsgesetzgebung einschritt (RPO. v. 1577, RSchl.
v. 1731) und endlich die Anrüchigkeit auf Schinder und solche Nachkommen, die am Gewerbe
bereits teilgenommen hatten, einschränkte (Kais. Pat. v. 1772). Im 19. Jahrhundert (in Preußen
seit 1814) wurden auch sie von dem Makel befreit. Die Ehrminderung unehelicher Kinder
wurde zuerst in den Partikularrechten (Preuß. LR. II, 2 § 661, sächs. G. v. 23. März 1831)
und endlich auch im gemeinen Recht beseitigt. Die Bescholtenheit wurde zur „Verächtlichkeit“
ausgebildet. Mit der Sonderehre, die im Volksleben lebendig blieb, beschäftigte sich die Ge-
setzgebung zunächst nur durch Bekämpfung von Mißbräuchen, bis in neuerer Zeit die Hand-
habung des besonderen Ehrenrechts der einzelnen Berufsstände öffentlichrechtlich geregelt wurde.
Auch im heutigen Recht ist die Ehre Ausfluß der Persönlichkeit und Minderung
der Ehre für die persönliche Rechtsstellung nachteilig. Doch ist die Bedeutung für das Privat-
recht sehr abgeschwächt. 1. Die allgemeine Menschenehre ist unverlierbar. 2. Die bürger-
liche Ehre wird ganz oder teilweise, dauernd oder auf Zeit durch strafbare Handlung verwirkt
und durch Strafurteil aberkannt; die Folgen aber äußern sich vorzugsweise in der Minderung
der staatsbürgerlichen Rechte und greifen nur in einzelne Privatrechtsverhältnisse (Solennitäts-
zeugnis, Vormundschaft, Genossenschaftsrecht, Börsenrecht, Gewerberecht) ein. 3. Die Sonder-
ehre von Ständen und Verbänden kann nicht mehr als höhere oder geringere Ehre gewertet
werden, begründet aber als eigentümlich gefärbte besondere Gemeinehre (z. B. Beamten--,
Soldaten--, Kaufmanns-, Handwerks-, Studentenehre) die Verpflichtung zu einem ihr ent-
sprechenden Verhalten, so daß ihr Verlust oder ihre Minderung den Verlust oder die Minderung
der Mitgliedschaftsstellung (sei es kraft öffentlichrechtlich geregelter disziplinar= oder ehren-
gerichtlicher Entscheidung, sei es kraft satzungsmäßigen Vereinsspruches) nach sich ziehen kann.
4. Die Individualehre endlich ist das Erezugnis der individuellen Lebensführung; ihre Ab-
messung fällt im allgemeinen in den Bereich der Sitte, nicht des Rechtes. Doch wirkt ihre
Herabminderung durch ehrloses oder unsittliches Verhalten dann, wenn sie die Person ver-
ächtlich oder bescholten macht, auch auf das Privatrecht (z. B. im Familien= und Erbrecht, im
Genossenschafts-, Gesellschafts= und Dienstrecht, im Gewerberecht) ein; die Verächtlichkeit wird
aber nicht allgemein, sondern von Fall zu Fall festgestellt. Andererseits gehören die auf
Konstatierung einer erhöhten individuellen Ehre gerichteten staatlichen und korporativen Ehren-
auszeichnungen (Orden, Titel, Ehrenbürgerrechte, Ehrendiplome, Ausstellungsmedaillen usw.)
dem Rechtsgebiet an.
Literatur: Budde, Über Rechtlosigkeit, Ehrlosigkeit und Echtlosigkeit, 1842. Hille-
brand, Über die gänzliche und teilweise Entziehung der bürgerlichen Ehre usw., 1841. Köstlin,
Z. f. D. R. XV 151 ff. Binding, Die Ehre, 1890. Gierke, D. P.K. 1 152—53. Naen-
drup, Dogengeschichte der Arten mittelalterlicher Ehrenminderungen (in Festgabe für Dahn),
1905. Hübner & 14.
§ 27. Einfluß der Religion. Während im Mittelalter die bürgerliche Rechtsfähigkeit
und die Mitgliedschaft in der einen Kirche einander bedingten, wurde nach der Reformation
zunächst für die Angehörigen der anerkannten christlichen Kirchen in den Religionsfrieden und
seit dem Ende des 18. Jahrhundert auch für die Anhänger anderer Religionsbekenntnisse in den
Partikularrechten die Gleichstellung im Privatrecht ausgesprochen, sodann aber (für die drei
anerkannten christlichen Religionsparteien in der Deutsch. BA. a. 16, allgemein in neueren Ver-
fassungsurkunden) die Gleichstellung hinsichtlich der staatsbürgerlichen Rechte hinzugefügt. Alle
noch bestehenden Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte auf Grund
des Religionsbekenntnisses hob das RG. vom 3. Juli 1869 auf. Damit ist eine Rechtsverschieden-
heit je nach dem Religionsbekenntnis grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Doch hat das Religions-
bekenntnis die ihm gemeinrechtlich verbliebene und durch das Personenstandsgesetz von 1875
nur teilweise beseitigte Bedeutung für das Eherecht seit dem BGB. eingebüßt. Privatrecht-
liche Erheblichkeit hat es noch im Vormundschaftsrecht, für das Erziehungsrecht, hinsichtlich
der kirchlich bedingten Rechte, kraft Satzung oder infolge rechtsgeschäftlicher (falls nicht wegen
beabsichtigten Gewissensdruckes unsittlicher) Bestimmung.
Was hinsichtlich des Einflusses der Religion auf das Privatrecht überhaupt gilt, gilt heute
auch für die Juden. Während sie ursprünglich als Fremde und Nichtchristen vom Volks-
recht ausgeschlossen waren und ihre Rechtsstellung lediglich der Aufnahme als Schutzgenossen