2. O. v. Gierle, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 209
als äußeres Leben von Menschen abspielt. Darum treten im Verbandsrecht, insoweit es als
Sozialrecht den Bau und die Betätigung der Verbandseinheit normiert, durchweg Rechtsbegriffe
auf, die im Individualrecht keinerlei Vorbild haben.
Die Entstehung einer Verbandsperson setzt einen sozialen Schöpfungsakt voraus,
der möglicherweise durch unbewußte Willensvorgänge allmählich vollzogen werden kann, heute
aber meist in einer bewußten Willenstat besteht. Die Schöpfungstat stellt sich rechtlich nicht
als Vertrag oder sonstiges Individualrechtsgeschäft, sondern als konstitutive Gesamthandlung
oder Stiftungshandlung dar. Im Gründungsstadium spielen zwar Individualrechtsgeschäfte, die
die Bewegung fortleiten, eine wichtige Rolle; allein der Gründungsvorgang als solcher wird
in seinem ganzen Verlauf bereits von sozialrechtlichen Normen beherrscht (nach Art eines
embryonalen Vorlebens). Damit jedoch der Verband als Person gelte, muß ein Rechtssatz
hinzutreten, der ihn als Person anerkennt. Das heutige Recht gewährt den Verbänden nicht
den gleichen sakrosankten Anspruch auf Persönlichkeit, wie den Individuen. Vielmehr gelten
für die einzelnen Arten von Verbänden verschiedene Systeme: bald das ursprüngliche deutsche
System der Körperschafts= und Stiftungsfreiheit, nach dem die Persönlichkeit mit dem Dasein
des Verbandes gegeben ist; bald das moderne System der Normativbestimmungen, das den
Erwerb der Persönlichkeit an eine gehörige Kundmachung (meist Registereintrag) auf Grund
der Erfüllung genereller Voraussetzungen knüpft; bald das Konzessionssystem, nach dem der
einzelne Verband nur durch staatliche Verleihung auf Grund spezieller Prüfung und Gut-
heißung Persönlichkeit erlangt.
Die Lebensordnung der Verbandspersonen wird durch ihre (auf Gesetz oder
Satzung beruhende) Verfassung rechtlich bestimmt. Die Verfassung normiert durch Rechts-
sätze die Zusammensetzung, Gliederung und Organisation des sozialen Körpers. Damit
werden innerhalb des Verbandsganzen Gliedpersönlichkeit und Organpersönlichkeit gesetzt und
die Beziehungen zwischen der Einheit des Ganzen und seinen Teilen zu Rechtsverhältnissen
erhoben. Die Gliedpersönlichkeit oder „Mitgliedschaft“ erscheint als ein besonderes Zustands-
recht, das durch Rechtsvorgänge erworben, verändert und verloren wird und bestimmte ein-
zelne Pflichten und Rechte gegenüber dem Ganzen begründet. Ebenso verhält es sich mit der
Organpersönlichkeit, deren Pflichten und Rechte gegenüber dem Ganzen in „Kompetenzen“
Ausdruck finden, kraft deren die Organe zur Erfüllung bestimmter Funktionen des einheit-
lichen Verbandslebens berufen sind. Verbandspersonen können Gliedpersonen oder Organ-
personen anderer Verbandspersonen sein und infolge hiervon einer Einwirkung höherer Orga-
nismen auch auf ihr inneres Leben unterliegen. Alle engeren Verbandspersonen sind dem
Staate eingegliedert. Grundsätzlich aber wird dadurch heute die Selbständigkeit ihres Eigen-
lebens nicht in Frage gestellt, sondern nur eine staatliche Aufsicht (anstatt der ehemaligen Be-
vormundung) begründet. .
Jede Verbandsperson ist rechtsfähig. Sie ist Subjekt öffentlicher und privater
Befugnisse und Pflichten. Ihre Privatrechtsfähigkeit steht im Zweifel der einer Einzelperson
gleich. Sie beschränkt sich nicht (wie die Fiktionstheorie annimmt) auf die Vermögensfähigkeit,
sondern umfaßt auch Persönlichkeitsrechte (z. B. Sitz, Name, Ehre usw.). Doch fallen die
durch leibliches Einzeldasein bedingten Rechte weg. Besondere Beschränkungen der juristischen
Personen werden durch die gegen Anhäufung des Vermögens in der „toten Hand“ gerichteten
Amortisationsgesetze begründet, die schon seit dem Mittelalter erlassen wurden und gegenüber
dem BG. hinsichtlich des Erwerbes von Grundstücken und jedes sonstigen unentgeltlichen Er-
werbes insoweit zulässig bleiben, als der Wert 5000 Mark übersteigt (EG. a. 86, Preuß. AG. a.
6—7). Andererseits ist die Privatrechtsfähigkeit der privaten Verbandspersonen weiter als die
der Einzelpersonen, weil ja bei ihnen auch die sozialrechtlichen Verhältmisse dem Privatrecht
einverleibt sind. Dagegen sind die früheren privatrechtlichen Privilegien der juristischen Per-
sonen meist beseitigt.
Die Verbandsperson ist auch willens= und handlungsfähig. Die Vor-
gänge, durch die der einheitliche Verbandswille zu einem inneren Entschlusse gelangt und
diesen in äußere Tat umsetzt, sind durch Rechtssätze (z. B. über Beschlußfassung und über ge-
richtliche und außergerichtliche Vertretung) geregelt. Was aber ein Organ innerhalb seiner
Zuständigkeit in verfassungsmäßiger Weise will und tut, ist im Rechtssinne Wille und Handlung
Encytlopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band I. 14