Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 211 
wegen ihrer ehemaligen Doppelstellung nachher (5 31) noch zu handeln ist. Sodann zahl- 
reiche andere Körperschaften, wie Kirchengemeinden der als öffentlich anerkannten 
Religionsgemeinschaften, Gebietskörperschaften für Einzelzwecke (z. B. Armen-, Wege- und 
Schulverbände), ständische Körperschaften (z. B. Handelskammern, Innungen und Hand- 
werkskammern, Landwirtschaftskammern), Grundbesitzergenossenschaften (z. B. Deichverbände, 
öffentliche Wassergenossenschaften, Fischerei-, Wald= und Jagdgenossenschaften, landschaftliche 
Kreditverbände) und Zwangsversicherungsgenossenschaften (z. B. Krankenkassen, Berufs- 
genossenschaften für Unfallversicherung, Knappschaften). Endlich öffentliche Anstalten, 
die von einer öffentlichen Verbandsperson als besonders organisierte Subjekte mit eigenem 
Vermögen abgezweigt sind, wie die Reichsbank, die staatlichen Unterrichtsanstalten, die staat- 
lichen oder provinziellen Versicherungsanstalten für Altersversicherung, die klommunalen Spar- 
kassen und Leihhäuser, die kirchlichen Anstalten mit juristischer Persönlichkeit (auch die einzelne 
Pfründe). 
2. Als private Verbandspersonen erscheinen einerseits die durch Privatrechtssatz als 
Körperschaften anerkannten Genossenschaften (unten § 32), andererseits die vom Privatrecht 
mit anstaltlicher Persönlichkeit bekleideten Stiftungen (§ 33). 
III. Körperschaft und Genossenschaft. Seit der Ausbildung des Körper- 
schaftsrechts wurde in der alten Genossenschaft zwar der Rechtsbereich der Gesamteinheit von 
dem Rechtsbereich der Gesamtvielheit gesondert, aber in mannigfacher Weise eine genossen- 
schaftliche Ordnung festgehalten, kraft deren Sonderbereiche der Mitglieder dem Verbands- 
rechte eingefügt und mit dem einheitlichen Gesamtbereich verwoben blieben. Je mehr dies 
der Fall war, desto näher rückte die Körperschaft einer Gesellschaft oder Gemeinschaft. Da 
andererseits die Gesellschaft oder Gemeinschaft kraft des Prinzips der gesamten Hand sich im 
Sinne einer Personeneinheit zu entfalten vermochte, näherte sie sich vielfach einer Körper- 
schaft an. Nach der Rezeption suchte man die deutschrechtlichen Gebilde den römischen Kate- 
gorien zu unterwerfen, so daß entweder mit der Anwendung des römischen Korporations- 
begriffs alles Gemeinschaftsrecht in dem einheitlichen Bereich der juristischen Person ver- 
chwand und für Sonderbereiche der Mitglieder nur die auch beliebigen Dritten zugänglichen 
Formen des reinen Individualrechts übrig blieben, oder aber mit der Anwendung des römi- 
schen Sozietäts- und Kommunionsbegriffs alles Gemeinschaftsrecht in getrennte Individual- 
bereiche aufgelöst wurde. Gegen die hiermit vollzogene Vergewaltigung des Lebens, die un- 
erträglich wurde, sobald man mit dem Gegensatz Ernst machte, erhob sich die von Beseler 
begründete germanistische Genossenschaftstheorie. In ihrer ursprünglichen Fassung schob sie 
unter dem Namen „Genossenschaft“ ein Verbindungen mit und ohne Persönlichkeit begreifendes 
Zwischengebilde zwischen Gemeinheit und Gemeinschaft ein. Längst aber hat sie ihr Gärungs- 
stadium überwunden und ersetzt nur den römischen Gegensatz durch den deutschen Gegensatz, 
der auf beiden Seiten für eine organische Verbindung von Einheits- und Vielheitsrecht Raum 
läßt. Hieran ist festzuhalten. Die deutsche und moderne Körperschaft kann, da in ihr die ein- 
heitliche Gesamtperson als das von den verbundenen Einzelpersonen getragene und ihnen zu- 
gehörige Ganze erscheint und somit die Gesamtheit und die Einzelnen sich nicht wie beliebige 
Individuen, sondern in personenrechtlicher Verbundenheit gegenübertreten, vermöge des „ge- 
nossenschaftlichen Prinzips“ Vielheitsrecht einschließen. Die deutsche und moderne Gesellschaft 
und Gemeinschaft andererseits kann vermöge des „Prinzips der gesamten Hand“ eine Per- 
soneneinheit hervorbringen (unten § 34). 
Das genossenschaftliche Prinzip ist schwächerer oder stärkerer Entfaltung 
fähig. Es äußert sich in körperschaftlichen Sonderrechtsverhältnissen, die für alle oder be- 
stimmte Mitglieder eigenartige Rechte (iura singulorum) oder Pflichten gegenüber der Ver- 
bandsperson begründen. Diese Sonderrechtsverhältnisse unterscheiden sich von den völlig in 
das körperschaftliche Sozialrecht hineinfallenden reinen Mitgliedschaftsverhältnissen. Denn sie 
reichen in die Individualrechtssphäre und daher bei öffentlichen Körperschaften in die 
Privatrechtssphäre der Mitglieder hinein, beruhen auf einem neben der Mitgliedschaft 
gegebenen besonderen Rechtsgrunde, sind in ihren sonderrechtlichen Bestandteilen der 
Körperschaftsgewalt und namentlich dem Mehrheitsbeschluß entrückt (BGB. F 35) und 
lassen beim Wegfalle der Mitgliedschaft möglicherweise freies Individualrecht zurück. Sie 
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