212 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
unterscheiden sich aber auch von den völlig in das Individualrecht hineinfallenden außerkörper-
schaftlichen Rechtsverhältnissen, bei denen die Körperschaft und ihre Mitglieder einander genau
wie Dritte gegenüberstehen. Denn sie sind verfassungsmäßig mit der Mitgliedschaft verknüpft,
können nur Mitgliedern (allen oder einer Klasse oder einem bestimmten einzelnen Mitgliede,
z. B. einem Verbandshaupte) zustehen und sind der Körperschaftsgewalt nicht völlig entzogen,
sondern in bestimmtem Umfange korporativer Feststellung, Regelung der Ausübung und Mit-
vertretung nach außen unterworfen.
Ihrem Inhalte nach können die Sonderrechte und Sonderpflichten Personenrecht
(z. B. Stimmrecht, Recht auf Organstellung), Sachenrecht (z. B. Nutzungsrecht am Gemein-
lande, andererseits Deichlast) oder Schuldrecht (z. B. Forderungsrecht auf Gewinnanteil,
andererseits Beitragspflicht oder subsidäre Haftung) einschließen. Von besonderer Bedeutung
sind die vermögensrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisse zwischen einer Verbandsperson und
ihren Mitgliedern. So das genossenschaftliche Gesamteigentum mit verfassungsmäßiger Ver-
teilung der Eigentumsbefugnisse zwischen Einheit und Vielheit, das genossenschaftliche Gesamt-
recht an fremder Sache (z. B. Gemeindeservitut), die genossenschaftliche Forderungsgemein-
schaft und die genossenschaftliche Schuldgemeinschaft (z. B. bei der eingetragenen Genossenschaft).
Die stärkste Ausprägung des Sonderrechts begegnet bei den VLermögensgenossen-
schaften. Bei diesen bildet ein nach dem Prinzip des genossenschaftlichen Gesamteigen-
tums in Anteile zerlegtes Vermögen die Grundlage des Verbandsorganismus. Hier erscheint
die Mitgliedschaft im Ganzen, da sie mit einem Anteil verknüpft, der Anteil aber übertragbar
und vererblich ist, als Bestandteil eines Sonderrechts. Sie kann sogar (z. B. als Aktie) in
einem Wertpapier verkörpert und als marktgängige Ware behandelt werden.
Literatur: Böhlau, Fiskus, landesherrliches Vermögen und Landesvermögen in Mecklen-
burg, 1877. — Rosin,, Das Recht der öffentlichen Cenosfenschafe, 1885. — Beseler,. Erb-
verträge 1 76 ff., Volksr.= u. Juristenr. S. 158 ff., D. P. R. § 66 ff. So X m, Die deutsche Genosfen-
schaft, 1889. Gierke, D. P. R. 1 J 61—70. Hübner 922—23
§ 31. Die Gemeinden. Die heutige Gemeinde ist als Gebietskörperschaft für Erfüllung
des menschlichen Gemeinschaftszwecks in örtlicher Begrenzung eine rein öffentliche Körper-
schaft, die nur als solche zugleich Privatrechtssubjekt ist. Dies gilt für die Ortsgemeinde, mag
sie Stadt= oder Landgemeinde sein, wie für die weiteren Kommunalverbände (Amts-, Kreis-
und Provinzialgemeinden). Allein teils in, teils neben der Ortsgemeinde haben sich Reste
der alten deutschen Markgemeinde erhalten, die mit der Funktion eines örtlichen Gemein-
wesens die einer agrarischen Wirtschaftsgenossenschaft verband und daher zugleich die Privat-
rechtsverhältnisse an Grund und Boden gestaltgebend bestimmte.
I. Die Markgemeinde. Die alte Gemeinde besaß eine Mark (Landgebiet), die
nach dem Prinzip des genossenschaftlichen Gesamteigentums teils dem Gesamtrecht vorbehalten,
teils zu Sonderrecht verteilt war. Das Gesamtrecht hatte sein Zentrum in dem Eigentum
an der ungeteilten gemeinen Mark oder „Allmende" (Wald, Wasser und Weide, aber auch Plätze
und Wege usw.), das oft einer mehrere Ortschaften umfassenden großen Markgenossenschaft
gemeinsam zustand. Die Allmende diente gemäß der ursprünglichen Identität von Gesamt-
einheit und Gesamtvielheit gleichzeitig den Bedürfnissen der Gemeinde als solcher und den
wirtschaftlichen Bedürfnissen der Genossen als Einzelner (Holznutzung, Viehweide, Jagd,
Fischerei usw.). Das Gesamtrecht erstreckte sich aber auch auf die in der geteilten Feldmark
belegenen Ländereien (Acker und Wiesen), an denen zwar an Stelle des einstigen zeitweiligen
Sondernutzungsrechtes ständiges Sondereigentum getreten war, jedoch infolge der fortdauern-
den „Gemengelage" die Bewirtschaftung an das herkömmliche System (Dreifelderwirtschaft)
und den Gemeindebeschluß gebunden blieb („Flurzwang") und überdies zeitweise (nach der
Ernte und während der Brache, bei Wiesen in der offenen Zeit) gemeine Nutzung stattfand.
Endlich ergriff das Gesamtrecht auch Haus und Hof, indem das daran bestehende freie Sonder-
eigentum mannigfachen Verfügungsbeschränkungen unterlag. Zu Sonderrecht besaß jeder Ge-
nosse seine „Hufe“, die sich aus der Hofstätte, dem Feldanteil und dem Nutzungsrecht an der
Allmende zusammensetzte. Wo in Gegenden ohne Dörfer oder neben Dörfern Einzelhöfe mit
abgesonderter Hofmark bestanden, wurde gleichwohl der Bauer= oder Gutshof erst durch den