Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 215 
Hinsichtlich der Vereine ist im heutigen Rechte zwar das germanische Prinzip der 
Vereinsfreiheit (innerhalb der durch die öffentlichrechtliche Vereinsgesetzgebung gezogenen 
Schranken) wiederhergestellt, dagegen das im älteren deutschen Recht damit verbundene Prinzip der 
Körperschaftsfreiheit nicht wieder durchgedrungen. Doch ist das polizeistaatliche Konzessions- 
system, das die Partikulargesetzgebung fast überall durchführte, überwiegend durch das System 
der Normativbestimmungen verdrängt. Nach dem BGB. gelten in Ansehung der Rechts- 
fähigkeit (abgesehen von ausländischen Vereinen, deren Persönlichkeit der Verleihung oder An- 
erkennung durch den Bundesrat bedarf) verschiedene Regeln für Vereine, deren Zweck auf einen 
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, und für Vereine mit anderem (sog. „idealem") 
Zweck. 
Wirtschaftliche Vereine erlangen in Ermangelung spezialgesetzlicher Regelung 
die Rechtsfähigkeit nur durch staatliche Verleihung (Konzessionssystem). Allein für ihre Haupt- 
typen gelten besondere Reichs- oder Landesgesetze, die auf dem System der Normativbestim- 
mungen beruhen. Dahin gehören von wirtschaftlichen Personalgenossenschaften (bei denen 
eine Vermögensgemeinschaft zwar entwickelt wird, aber Ausfluß, nicht Grundlage der Ver- 
einigung ist) die reichsgesetzlich geregelten eingetragenen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen- 
schaften und die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Ferner von wirtschaftlichen Real- 
genossenschaften die landesrechtlich anerkannten freien Wassergenossenschaften. Endlich von 
Vermögensgenossenschaften die handelsrechtlichen Kapitalvereine (Aktiengesellschaften, Kom- 
manditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung), sowie nach Landes- 
recht die Gewerkschaften des Bergrechts. 
Vereine für ideale Zwecke erlangen Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das 
von den Gerichten geführte Vereinsregister. Sie haben ein Recht auf Eintragung, sobald sie 
die gesetzlichen Bedingungen erfüllen und nicht nach öffentlichem Vereinsrecht verboten sind 
oder verboten werden können. Allein eine Ausnahme hiervon gilt für Vereine, die einen poli- 
tischen, religiösen oder sozialpolitischen Zweck verfolgen. Denn die Eintragung eines derartigen 
Vereins kann durch Einspruch der Verwaltungsbehörde gehindert werden (verhülltes Kon- 
zessionssystem). Religionsgesellschaften und geistliche Gesellschaften erwerben in Preußen über- 
haupt nur durch Spezialgesetz Persönlichkeit (Preuß. Vll. a. 13, EG. z. BGB. a. 84). 
Rechtsbeständige Vereine ohne juristische Persönlichkeit wurden von 
der gemeinrechtlichen Praxis bald als unvollkommene Körperschaften nach Körperschaftsrecht, 
bals als modifizierte Gesellschaften nach Gesellschaftsrecht behandelt. Das Preuß. ALR. weist 
ihnen die Stellung „erlaubter Privatgesellschaften“ an, die nach innen Körperschaften, nach 
außen Gesellschaften sind. Das BGB. unterstellt die nicht rechtsfähigen Vereine grundsätzlich 
dem Gesellschaftsrecht, erkennt sie aber als „Vereine“ an, für die einzelne Sonderbestimmungen 
gelten. Die Ausgestaltung des Gesellschaftsrechts im BG#B. und die Abwandlungsfähigkeit 
der gesetzlichen Normalform ermöglicht solchen Vereinen in erheblichem Umfange die tatsächliche 
Durchsetzung ihres in Wirklichkeit körperschaftlichen Wesens. 
Literatur: Ro sin in Gruchots Beitr. XXVII 108 ff. — O. Gierke, 655, Lereine ohne Rechts- 
fähigkeit, 2. Aufl. 1902. — v. Tuhr, Der Alls. T. des bürgerl. R. 4 33—40 
§ 38. Die privatrechtlichen Stiftungen. Die Stiftung ist eine durch private Willens- 
tat geschaffene Anstalt mit eigener Persönlichkeit. Keine Stiftung im technischen Sinne ist 
die Vermögenszuwendung an eine andere Verbandsperson mit Zweckbestimmung (sog. „un- 
selbständige Stiftung"). Selbständige Stiftungen entwickelten sich zuerst im römischen Recht 
der christlichen Zeit als Stiftungen für milde Zwecke (pia corpora), die als kirchliche Rechts- 
subjekte galten und im Mittelalter unter kirchlichem Recht blieben. Daneben kam ein weltliches 
Stiftungswesen für andere gemeinnützige Zwecke und namentlich auch für Familienzwecke auf. 
Die neuere Gesetzgebung beließ nur die mit der Kirche zusammenhängenden Stiftungen unter 
Kirchenrecht, unterstellte dagegen alle anderen Stiftungen dem weltlichen Recht und staat- 
licher oder kommunaler Aufsicht. Jetzt regelt das B#. die privatrechtliche Seite der Stiftungen. 
Daneben gilt, insbesondere für Familienstiftungen, ergänzendes Landesrecht. 
Ihrem Wesen nach ist die Stiftung eine Verbandsperson. In der älteren Theorie 
wurde sie als Abart der Korporation behandelt. Als sie sodann seit Anfang des 19. Jahrh.
	        
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