218 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
§ 35. Gemeinschaften kraft Herrschaftsrechts. Die herrschaftliche Form der personen-
rechtlichen Gemeinschaft liegt vor, wenn eine Personenmehrheit so verbunden ist, daß ihre
Personeneinheit in der Person eines Gewalthabers zur Erscheinung kommt. Durch Be-
teiligung der unterworfenen Gesamtheit an der Ausübung der herrschaftlichen Gewalt wird sie
im Sinne der gesamten Hand abgewandelt, aber nicht aufgehoben.
Auch diese Gemeinschaftsform wurzelt im germanischen Familienrecht. Ihre älteste
Gestalt ist das Haus als die vom Hausherrn beherrschte und vertretene Hausgemeinschaft.
Die hausherrliche Gewalt heißt Munt (d. h. Hand). Die Munt gewährt ein Herrschaftsrecht
an der Person, daher Anspruch auf Gehorsam und Dienst, verpflichtet aber auch zu Schutz und
Fürsorge, ist also zugleich „Vormundschaft"“. Nach außen hat der Muntwalt die Haus-
angehörigen zu vertreten, aber auch für sie zu haften. Die Munt ergreift auch das Hausvermögen,
gibt daher dem Muntwalt, soweit er nicht Eigentümer ist, Verwaltung und Nutzung für die
Zwecke der Hausgemeinschaft („vormundschaftliche Gewere"). Sie beläßt aber den Hausange-
hörigen freie Sonderbereiche und kann durch Sonderrechte der Glieder innerhalb der Gemein-
schaft beschränkt sein. Die Munt erstreckt sich auf die Ehefrau und die Kinder, ergreift aber auch
fremde in die Hausgemeinschaft eingetretene Personen, den Gast, das hörige und später auch
das freie Gesinde. Im Laufe der Zeit differenzierte sich die Munt zu den verschiedenen familien-
rechtlichen Gewalten und der sonstigen Hausgewalt. Nach der Rezeption ging der Gedanke
der Einheit des Hauses fast verloren. Doch erhielt er sich nicht nur in der Lebensanschauung,
sondern wird auch heute im Familienrecht und zum Teil auch im Gesinderecht und bei sonstigen
mit Eintritt in die Hausgemeinschaft verbundenen Dienstverhältnissen wirksam.
Die Erweiterung der herrschaftlichen Gemeinschaft über den häuslichen Kreis
hinaus führte zu zahlreichen Herrschaftsverbänden, in denen die herrschaftliche Gewalt zunächst
als eine Art von Munt („Standesvormundschaft") aufgefaßt, später unter anderen Namen
fortgebildet wurde. Hierher gehört der Vasallitätsverband und dessen Verdinglichung im
Lehnsverbande. Sodann der dienstrechtliche Verband des Herrn und der ritterlichen Mannen.
Weiter der hofrechtliche Verband des Grundherrn und der vogteipflichtigen, hörigen oder
eigenen Bauern und der daraus hervorgegangene gutsherrlich-bäuerliche Verband, den die
neuere Agrargesetzgebung auflöste. Endlich der geschäftsherrliche Verband, den das Handels-
recht in der Einheit des Handlungshauses, das Seerecht in der Schiffsgemeinschaft, das Ge-
werberecht zunächst in dem Verbande des Meisters mit Gesellen und Lehrlingen, neuerdings
aber überhaupt in dem Verbande des gewerblichen Unternehmers mit seinen Gehilfen und
Lehrlingen ausbildete. Hat auch die neuere Gesetzgebung bei der Regelung der gewerblichen
Herrschaftsverbände nicht mit der Form des Individualrechts gebrochen, so ist sie doch durch
deren innere Natur mehr und mehr dazu gedrängt worden, das den Dienstvertrag beherrschende
Obligationenrecht im Sinne des Personenrechts abzuwandeln und zugleich das Vereinzelungs-
recht in Gemeinschaftsrecht überzuführen. Die für größere Betriebe zu erlassende Arbeits-
ordnung ist mit der Kraft einer autonomischen Satzung ausgestattet. In der Bildung von
Arbeiterausschüssen sind die Anfänge einer Beteiligung der Glieder am Verbandsleben ge-
setzlich ausgeprägt.
Literatur: Gierke, D. P.K. 5 8S0a. Steinbach, Genossenschaftliche und herrschaftliche
Berbände in der Organisation der Volkswirtschaft, 1901.
Kapitel IV. Persönlichkeitsrechte.
§ 36. Persönlichkeitsrechte überhaupt. Das oberste Privatrecht ist das allgemeine Recht
der Persönlichkeit, das allen besonderen Rechten zugrunde liegt und in sie alle hineinreicht.
Das römische Recht gewährte dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einen umfassenden privat-
rechtlichen Schutz vermöge der actio injuriarum, prägte aber besondere einzelne Persönlichkeits-
rechte nicht aus. Das deutsche Recht dagegen hat eine Reihe besonderer Persönlichkeitsrechte
ausgestaltet und das moderne Recht ist darin fortgefahren. Solche Rechte, die auch „Rechte
an der eigenen Person", oder „Individualrechte“ genannt werden, gewährleisten ihrem Sub-
jekte die Herrschaft über ein bestimmtes Persönlichkeitsgut, einen ausgeschiedenen Bestandteil