Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 229 
urteilsmäßigen Anspruch auf Besitzeinräumung und erforderlichenfalls auf gerichtliche Besitz- 
einweisung; er erzielt endlich den sofortigen Ausschluß aller Anfechtungsberechtigten, die zugegen 
waren und schwiegen, nach Jahr und Tag aber die rechte Gewere und den Ausschluß der 
übrigen Anfechtungsberechtigten, sofern sie nicht wegen eines Hinderungsgrundes sich erst später 
verschweigen. Zuerst im sächsischen Recht (Sachsensp. I a. 52 § 1) und dann auch sonst wurde 
die gerichtliche Auflassung zur alleinigen landrechtlichen Ubereignungsform erhoben. Mit 
dieser Umbildung Hand in Hand ging die immer kräftigere Ausbildung der ideellen Gewere, 
deren Übertragung nun die Kraft der dinglichen Rechtsänderung völlig an sich zog. 
III. Verzweigung. Die Ubereignungsform erfuhr entsprechende Abwandlungen, 
wenn nicht volles, sondern beschränktes (insbesondere bloß anwartschaftliches oder rücckfälliges) 
Eigentum übertragen werden sollte; gibt der Veräußerer nicht alles Recht auf, so bleibt die 
Auflassungserklärung weg; hat der Erwerber schon Gewere, so bedarf es keiner Investitur. 
Mit der Verselbständigung der begrenzten dinglichen Rechte bildeten sich besondere gericht- 
liche Bestellungs= und UÜbertragungsformen für diese aus. Aber auch die liegenschaftlichen 
Gerechtigkeiten und Vermögensinbegriffe wurden der Auflassung zugänglich. — Gegenüber 
der landrechtlichen Auflassung entwickelten sich ferner besondere Formen des dinglichen Rechts- 
geschäfts in anderen Rechtskreisen: die lehnrechtliche Investitur vor dem Lehnsgericht, der 
hofrechtliche Empfang vor dem Hofgericht, die Übertragung fürstlicher Herrschaften mit be- 
siegelter Urkunde vor dem Reichsgericht, die stadtrechtliche Fertigung vor dem Rat. 
IV. Verbindung mit den öffentlichen Büchern. Die zukunftreichste 
Neubildung war die Verbindung, die zuerst in den Städten und dann auch auf dem Lande die 
Auflassung mit dem Institut der Grundbücher (oben § 13) einging. Schon früh trug man 
sowohl den Eigentumswechsel wie die Belastungen der Grundstücke in die Grundbücher ein. 
Anfänglich nur des Beweises wegen. Aber schon im Mittelalter wurde vielfach die Ein- 
tragung zur wesentlichen Schlußhandlung, so daß nun die dingliche Rechtsänderung sich durch 
Auflassung (oder sonstigen dinglichen Vertrag) und Eintragung vollzog. 
V. Entwicklung seit der Rezeption. Seit der Rezeption galten die römischen 
Sätze, nach denen an unbeweglichen wie beweglichen Sachen Eigentum durch Tradition auf 
Grund eines Titels übertragen, dingliches Recht aber durch bloßen Vertrag begründet wird, 
als gemeines Recht. Allein fast überall in den Partikularrechten lebte die gerichtliche Hand- 
lung beim Grundstücksverkehr fort, meist in Verbindung mit einer Bucheintragung oder doch 
mit gerichtlicher Prüfung und Bestätigung. Vielfach freilich schrumpfte sie zu bloßer gericht- 
licher Form des Veräußerungsvertrages zusammen. Anderswo hielt man zwar an der Über- 
eignung durch Tradition fest, ließ aber eine Belastung von Grundstücken mit Hypotheken nur 
im Wege der gerichtlichen Bestellung und Eintragung in ein Hypothekenbuch zu, so daß nur 
der eingetragene „Bucheigentümer“, er aber auch, wenn er nicht der „wahre Eigentümer“ ist, 
das Grundstück belasten, dagegen nur der wahre Eigentümer es veräußern kann. Dieses im 
einzelnen sehr ungleich ausgestaltete System der Hypothekenbücher wurde vielfach (in Preußen 
seit der Hyp O. v. 20. Dez. 1783, in Bayern 1822, in Württemberg 1825) allgemein eingeführt. 
Zum Teil auch in den Gebieten des französischen Rechts in Verbindung mit dem französisch- 
rechtlichen Eigentumsübergange durch bloßen Vertrag (so in Baden schon 1809), während der 
Code civil an die Um-- und Einschreibung im Grundbuch nur gewisse Vorteile knüpft. Es gab 
aber auch Gebiete, in denen sich das reine deutsche Recht erhielt, so daß Ubereignung wie Be- 
lastung an gerichtliche Handlung gebunden blieb. Bisweilen ohne eigentliche Grundbücher, 
wie in Bremen (so noch Erbe= und Handfesten-O. v. 1833 u. 1860) und im gemeinen Sachsen- 
recht (Ubereignung durch „Allodialinvestitur"), meist aber in Verbindung mit vollem Grund- 
buchsystem, wie in Lübeck, Hamburg und anderen Städten, in Teilen von Mecklenburg, Han- 
nover, Schleswig, Holstein usw. Die grundsätzliche Rückkehr zu diesem System vollzog zuerst 
das Osterr. GB. (neues Ges. v. 25. Juni 1871), dann die Gesetzgebung einzelner deutscher 
Staaten (sächs. Ges. v. 1843 u. sächs. GB., thüringische, mecklenb., nassau. und hess. Ges.) 
und schweizerischer Kantone. Vor allem aber in erweitertem Umfange das preuß. Ges. v. 
5. Mai 1872, das allmählich mit Abwandlungen in alle Provinzen (außer Nassau) eingeführt 
und in anderen Staaten nachgebildet wurde. Hier wurde namentlich das dingliche Rechts-
	        
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