Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 235 
welches das in deutschen Quellen oft ausgesprochene Verbot des „Neidbaus“ gedeckt wird) 
und dem Wegfall des Ausschließungsrechts gegenüber einem durch Nothilfe gerechtfertigten 
Eingriff (§ 904), teils aus besonderen Sätzen des Liegenschaftsrechts. Zu den letzteren gehört 
der gegenüber dem römischen Recht durchgedrungene Satz, daß der Eigentümer Einwirkungen 
nicht verbieten kann, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, daß er an der Aus- 
schließung kein Interesse hat (BGB. 905). Insbesondere aber gehören dazu die Sätze des 
Nachbarrechts. 
Das Nachbarrecht, das in der nachbarlichen Gemeinschaft wurzelt, begründet mit 
den Beschränkungen des einen Eigentums zugleich Erweiterungen des anderen Eigentums. 
Die ihm entspringenden Ansprüche auf Dulden, Unterlassen oder Tun des jeweiligen Eigen- 
tümers des Nachbargrundstücks sind privatrechtlicher Natur. Sie sind aber keine besonderen 
Dienstbarkeiten („Legalserwituten") oder Reallasten, sondern gesetzliche Eigentumsbestandteile. 
Unser heutiges Nachbarrecht ist nur zum kleineren Teil römischen, zum größeren Teil deutschen 
Ursprungs; es ist mannigfach ungleichartig ausgestaltet und auch im BG#B. nur teilweise ein- 
heitlich geregelt. Dem deutschen Recht entstammen insbesondere: 1. Die Verpflichtung zur 
Duldung unerheblicher oder nach der örtlichen Lage gewöhnlicher unwillkürlicher Immissionen 
(BGB. F 906). 2. Die landesrechtlich festgehaltene Verpflichtung, bei Bauten und anderen 
Anlagen (auch Baumpflanzungen) oder doch bei läßigen Anlagen einen bestimmten Abstand 
von der Grenze einzuhalten. 3. Das landesrechtliche Fenster- und Lichtrecht, das einerseits 
gegen das Verbauen der seit 10 Jahren bestehenden Lichtöffnungen, andererseits gegen die 
Anlage neuer Lichtöffnungen in Wänden an der Grenze Schutz gewährt. 4. Das allgemeine 
Recht auf den Notweg (BGB. FK 917—918). Verwandt sind die landesrechtlich festgehaltenen 
Rechte, beim Pflügen auf dem Nachbargrundstück zu wenden (Anwenderecht) und beim Bauen 
das Gerüst auf das Nachbargrundstück zu stellen (Leiterrecht) und es zu bewerfen (Hammer- 
schlagsrecht). 5. Das Uberhangsrecht auf Entfernung und Aneignung überhängender Zweige 
und das Uberfallsrecht auf überfallende Früchte des Nachbarbaumes (Recht des „Anrieses“; 
„wer den bösen Tropfen genießt, genießt auch den guten"); vgl. BG. §§ 910 u. 911. 6. Das 
Uberbaurecht, demzufolge der Nachbar einen versehentlichen Grenzüberbau, falls er nicht recht- 
zeitig widersprochen hat, gegen Entschädigung dulden muß (BGB. öF 912—916). 7. Das 
Grenzrecht mit gegenseitiger Abmarkungspflicht und gesetzlichen Gemeinschaftsverhältnissen 
an Grenzeinrichtungen (BGB. 8§ 919—923). · 
Literatur: Hesse, Die Rechtsverhältnisse zwischen Grundstücksnachbarn, 2. Aufl. 1880. 
H. Beck, Die Rechtsverhältnisse zwischen benachbarten Grundstücken, 1890. Haidlen, Land- 
wirtschaftliches Nachbarrecht in Württ., 1893. Theiler, Das Nachbarrecht des Kantons 
Schwyz, 1900. Fahne, Das Fenster- und Lichtrecht, 1810. A. Menzel, Das Recht des 
Notwegs, 1896. A. B. Schmidt, Das Recht des Überhangs u. Überfalls, 1886. M. Wolff, 
Der Bau auf fremdem Boden, insbesondere der Grenzüberbau usw., 1900. Gierke, D. P. R. 
II §K 125—126. Hübner FK36—37 v. Schwerin S. 46 ff. 
Abschnitt II. Die Regalien und ihre Nachwirkungen. 
§ 51. Die Regalien. Als „#iura regalia“ bezeichnete man ursprünglich alle dem Könige 
vorbehaltenen Rechte. In bunter Mischung wurden so in der Constitutio Friderici I de Regalibus 
von 1158 die königlichen Rechte in Italien aufgezählt. Sie fand Aufnahme in das langobardische 
Lehnrechtsbuch (II F. 56) und gewann auch in Deutschland Einfluß. Die Regalien kamen 
jedoch durch Verleihung vielfach in die Hände von Fürsten (den Kurfürsten wurden die meisten 
schon in der Goldenen Bulle allgemein zugesprochen), Städten und Grundherren. Später 
konzentrierten sie sich bei den Landesherren. 
Infolge der patrimonialen Auffassung der Staatsgewalt wurden die Regalien haupt- 
sächlich von der nutzbaren Seite her angesehen und auch bei der Ausbildung des Territorial= 
staatsrechts seit dem 16. Jahrhundert unter fiskalischen Gesichtspunkten behandelt und ver- 
mehrt. Zugleich aber diente der Begriff der Regalität, um die staatliche Fürsorge für das 
gemeine Wohl durchzusetzen. Dies führte, seitdem die Staatsgewalt aus dem Begriff der 
„maiestas“ (Souveränität) abgeleitet wurde, zur Unterscheidung der dem Staat seinem Be- 
griff nach zustehenden höheren Regalien (Regalia maiora oder essentialia) und der von ihm
	        
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