20 I. Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte.
und dies natürlich auch in bezug auf das Recht. Auf diese Weise konnte man manche Ergebnisse
gewinnen, und so war es insbesondere von Bedeutung, daß in den indogermanischen Sprachen
das Wort „Vater“ von der Wurzel pa = „schützen“ und nicht von „zeugen“ abzuleiten ist. Doch
darf diese Entwicklung nicht überschätzt werden, da die sprachlichen Gänge oft sehr sonderlich
sind und durch viele Dunkelheiten führen.
Von der Kulturgeschichte: ist insbesondere die Religionswissenschaft bedeutsam;
das Recht ist ursprünglich so mit religiösen Anschauungen verknüpft und durchsetzt, daß viele
seiner Motive nur aus der Religion erkannt werden können; Institute, die vom Nützlichkeits-
standpunkte aus sehr unpraktisch und seltsam sind, gewinnen dadurch Licht und Leben.
Niemals wäre die indogermanische Familie das geworden, was sie ist, ohne die Ahnenverehrung,
und ohne die Ahnenverehrung hätte die Blutrache eine ganz andere Gestalt angenommen; die
Einrichtung des Trauerjahres ist aus der Totenscheu hervorgegangen; und was alles der Toten-
kult geschaffen hat, und wie sehr das Häuptlingtum durch religiöse Vorstellungen befördert
worden ist, wird sich im Laufe der Darstellung von selbst ergeben.
Die Kulturgeschichte führt von selber auf die Psychologie hinüber; denn die Ge-
schichte bedient sich der menschlichen Seele mit all ihren Leidenschaften und Regungen, und
diese schaffen die Rechtsinstitute und überhaupt das Getriebe der Weltgeschichte. Die Instinkte
der Grausamkeit, der Rache, der Geschlechtsliebe sind für das Familien= wie für das Strafrecht
bildend gewesen; ebenso steht die Entwicklung der Religionen und des Religionsrechts unter dem
Einfluß mächtiger Seelenerscheinungen, suggestiver und autosuggestiver Erregungen, die bis
an die Grenze der Psychose hinanreichen können; vor allem kommt in Betracht die furchtbare
Gewalt der geistigen Ansteckung bei Menschenmassen und die geradezu unbegreifliche suggestive
Kraft der Einzeltat gegenüber der erregten Menge, vor allem auch die suggestive Kraft
des volkstümlich gewordenen Genius (Napoleon). In allen diesen Beziehungen hat die Ge-
schichte des Rechts aus einer systematischen psychologischen Beobachtung noch große Belehrungen
zu erwarten 2.
B. Rechtsbildungen.
I. Verhältnis zur Natur.
§ 13. Grundlagen.
Der in die Natur gestellte Mensch wird ursprünglich durch ihren Eindruck überwältigt.
Sie tritt ihm als etwas Ubergroßes, Mächtiges entgegen; sie ist die Gottheit, zu der er schauernd
aufblickt. Aber er ist noch nicht dazu gereift, die Natur objektiv zu beobachten; er fühlt sich
als Teil ihrer selbst, als Geist von ihrem Geist, und was er in sich fühlt, legt er in die Natur.
So entsteht ein reicher Dämonismus oder Animismus: die guten und die bösen Geister walten
in der Natur, sie tauchen auf, und sie verschwinden. Dieser Geisterglaube beherrscht den Menschen,
1 Bgl. Zeitschrift f. Ethnologie, jetzt im 43. Bande; Archiv f. Kulturgeschichte, bis jetzt 9 Bände;
Zeitschrift des Vereins f. Volkskunde, jetzt im 22. Bande; Anthropos, Revue internationale d’ethno-
logie, jetzt im 7. Bande; Revue d'’ethnographie et de sociologie (Bd. 1 und II); sodann die zahl-
reichen Publikationen des Instituts Solvay; ferner Archiv f. Nesigionswisenschaft, bis jetzt 15 Bände;
sehr bemerkenswert wegen ihrer geistesgeschichtlichen Beiträge ist auch die Revue Néóoscholastique
(ietzt im 19. Band) und die Revue de la Métaphysique et de la Moral (jetzt im 20. Band).
* Kulturgeschichte und Völkerpsychologie sind neuerdings zur Soziologie verschmolzen worden.
Hier haben Herbert Spencer (brinciples of sociology u. a.), Lubbock u. a. Bahn-
brechendes geleistet. Es besteht hierfür auch eine Jahresschrift: L'année sociologique von Dürk.
heim, bis jetzt 11 Bände, sowie eine Zeitschrift Rivista di Sociologia, bis jetzt 13 Bände, und
Revue d'’ethnographie et de sociologie, bis jetzt 2 Bände. Reiches Material findet sich in den
vielen Schriften von Bastian usw. Bgl. auch meinen Aufsatz: Recht und Bölkerpsychologie in der
Politisch-anthropol. Revue 15, S. 385 f. und den Darmstädter Kongreß in Arch. f. Rechtsphil. IV S.458.