Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 243 
§ 58. Die Begründung des Lehns. Regelmäßige Errichtungsart ist die Belehnung oder 
Investitur; ausnahmsweise entsteht nach gemeinem Recht ein „feucum informe durch dreißig- 
jährige Ersitzung (partikularrechtlich auch durch ordentliche Ersitzung). 
Die Belehnung wird vorbereitet durch den Lehnsvertrag („contractus feudalis“), 
der einen obligationenrechtlichen Anspruch auf Belehnung erzeugt und hinsichtlich verabredeter 
Besonderheiten als „lex investiturae“ gilt, Der Lehnsvertrag kann Schenkung, Kauf, Tausch 
usw. enthalten; liegt ihm ein „Lehnsauftrag“, d. h. Ubereignung von Allod unter Ausbedingung 
der Rückgabe als Lehen, zugrunde, so spricht man von einem „keudum oblatum“. 
Die Investitur wurde vor versammeltem Lehnsgericht vollzogen; das deutsche Recht 
forderte persönliche Anwesenheit beider Teile, das langobardische Recht (II F. 3 § 1) ließ Stell- 
vertretung zu. Sie setzt sich zusammen aus der Einräumung der Lehnsgewere (actus tradi- 
tionis) durch feierliche Worte und Symbole (Zepter, Fahne, Lanze usw.) und der Eingehung 
des Treubandes (actus inaugurationis) durch Treueid (Lehnseid, Huldetun, homagium) des 
Vassallen (das „Handlehen" mit bloßem Handschlag ist feudum improprium) und Treuversprechen 
des Herrn (dazu Kniebeugung, Handreichung, Lehnskuß). Darauf folgt die Aushändigung 
des Lehnbriefes (litterae investiturae) an den Vassallen und des Lehnreverses (Gegenbriefes) 
an den Herrn. Mit der Investitur entstehen die ideelle Lehnsgewere und das dingliche Recht; 
der Besitz muß besonders erworben werden („Einweisung“ des deutschen Rechts). Wo Grund- 
buchrecht gilt, ist zur Wirksamkeit gegen gutgläubige Dritte Eintragung der Lehnseigenschaft 
erforderlich (EG. a. 61). 
Die Wiederwerleihung einer „res infeudari solita“ ist als Reinfeudation er- 
leichtert (besonders bei Kirchengut); besteht eine Verpflichtung zur Wiederverleihung (wie nach 
altem Reichsrecht bei Fahnlehen, öfter auch bei Staatslehen), so spricht man von Refirmation. 
§s 59. Lehnsanwartschaft und Eventnalbelehnung. Das deutsche Recht kannte die 
Einräumung einer anwartschaftlichen Lehnsgewere in der doppelten Form des den Heimfall 
ausschließenden „Gedinges“ auf ein bestimmtes Gut und der auf das zuerst heimfallende Gut 
gerichteten „Anwartung“; weder Gedinge noch Anwartung wirkten für und wider die Erben; 
das jüngere Gedinge ging der älteren Anwartung vor. Das langobardische Recht kannte eine 
auf beiden Seiten vererbliche bedingte Investitur für den Fall des Heimfalles. Aus der 
Vermischung beider Rechte erwuchsen zwei Institute: 1. die Eventualbelehnung, 
d. h. die förmliche Investitur mit einem bestimmten Lehen für den Eröffnungsfall. Daraus 
entsteht ein gegen jeden Nachfolger des Herrn wirksames und nach Lehnrecht vererbliches ding- 
liches Wartrecht, das eintretendenfalls ohne weiteres in Lehnrecht übergeht. 2. die Lehns- 
anwartschaft, d. h. der ohne Investitur vertragsmäßig eingeräumte Anspruch auf Ver- 
leihung eines bestimmten Lehens im Eröffnungsfall (exspectativa feudalis specialis) oder des 
zuerst eröffneten Lehens (e. f. generalis) oder irgendeines Lehens (e. f. indeterminata). Die 
Verpflichtung geht auf die Erben des Herrn, aber auch auf den Regierungsnachfolger über; 
das Recht vererbt nach Zivilrecht, aber im Zweifel nur auf lehnsfähige Erben. 
#§ 60. Mitbelehmug. Eine Mitbelehnung nach Anteilen wee sie dem 
langobardischen Recht allein bekannt ist und später „coinvestitura juris Communis“ hieß, ge- 
währt gesonderte Lehnrechte an ideellen Teilen des Gutes (condominium utile). 
Verschieden davon ist die Mitbelehnung zur gesamten Hand (coinvestitura 
juris Germanici), die in Deutschland sehr verbreitet war und namentlich benutzt wurde, um 
gegenüber der auf Nachkommen des letzten Besitzers beschränkten deutschen Lehnsfolge den 
Ausschluß der Brüder und ihrer Nachkommen vom Lehen zu vermeiden. Die Gesamtbelehnten 
wurden verbunden belehnt, indem sie das Symbol mit gesamter Hand ergriffen und huldigend 
die vereinigten Hände in die Hand des Herrn legten. Damit erlangten sie eine gemeine und 
gleiche Gewere; dem Herrn gegenüber werden sie durch einen Lehnsträger vertreten, unter- 
einander sind sie Gemeiner mit ungesonderten und der Verfügung entzogenen Anteilen. Stirbt 
einer, so rücken seine Nachkommen für ihn ein; hat er keine Nachkommen, so wächst sein An- 
teil den anderen Gemeinern an. Während ursprünglich durch jede reale Teilung die gesamte 
Hand zerstört wurde, kamen seit dem 14. Jahrhundert die Mutschierungen mit Vorbehalt der 
16“
	        
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