Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

244 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
gesamten Hand auf (oben § 34). Nach der Rezeption begnügte man sich mit der Fiktion fort- 
bestehender Gemeinschaft; vielfach bildete sich auch der Satz aus, daß der Herr verpflichtet sei, 
die vom Vassallen gewünschte Mitbelehnung zu erteilen (so in Sachsen, Hessen, Württemberg). 
Schließlich wurde das Institut zu einem bloßen Ersatzmittel für die agnatische Lehnsfolge, so daß 
die bei jeder Erneuerung der Investitur wiederholte und in den Lehnbriefen vermerkte Mit- 
belehnung nur als Form der Begründung oder Wahrung von agnatischer Lehnsfolge erschien 
(ogl. Preuß. LR. I 18 F 411). 
§s 61. Rechte des Lehusherrn. Die Lehnsherrlichkeit als Ganzes ist ein aus Sachen- 
und Personenrecht gemischtes, mit Pflichten verbundenes Recht, das jedoch früh mit gewissen 
Beschränkungen veräußerlich wurde. Eine Art der Veräußerung ist die Auftragung zu Lehen 
(subinfeudatio per oblationem). 
Sachenrechtlich hat der Herr ursprünglich das „eigen“, später das Obereigentum 
(geschützt durch Vindikation, RNGer. XXVI Nr. 30). 
Personenrechtlich hat er Anspruch auf die beschworene Treue (kidelitas) des 
Vassallen, deren Bruch „Felonie“ heißt. Die Treue verpflichtet im allgemeinen zu Ehr- 
erbietung (Lehnsreverenz), Hilfe mit Rat und Tat und Unterlassung böswilliger Schädigungen 
des Herrn an Leib, Freiheit, Ehre oder Vermögen. Im besonderen verpflichtet sie zum 
Lehndienste (Freilehen ist kein rechtes Lehen). Der Lehndienst besteht beim echten Lehen in 
Kriegsdienst zu Roß (Heerfahrt) und Hofdienst (Hoffahrt). Der Kriegsdienst fiel bisweilen 
ohne Ersatz weg; sonst traten Geldleistungen an die Stelle (ein von Hause aus zu Zins ver- 
pflichtendes Zins- oder Beutellehen ist kein rechtes Lehen). Der Hofdienst erhielt sich in Ge- 
stalt von Ehrendiensten; einst umfaßte er vor allem auch die Teilnahme an der Ratsversamm- 
lung und namentlich an dem vom Herrn mit den Mannen (als pares curiae) gehaltenen Lehn- 
gericht (für Streitigkeiten zwischen Herrn und Vassallen oder der Vassallen untereinander und 
für „Eintrachtssachen"). Aus der Treupflicht folgt auch die Verpflichtung zur Mutung um 
Lehnserneuerung (renovatio keudi). Sie muß sowohl beim Herrenfall (Hauptfall, Thron- 
fall) gegenüber dem neuen Herrn, wie beim Lehnfall (Nebenfall) seitens des neuen Vassallen 
binnen Jahr und Tag erfolgen. Unentschuldigte Säumnis (ohne „Indult") ist Felonie. Auf 
gehörige Mutung ist der Herr zur Renovation durch Wiederholung der Investitur verpflichtet. 
Beim Lehnfall ist partikularrechtlich eine Lehnware (laudemium) zu entrichten. 
g 62. Rechte des Vassallen. Das vassallitische Recht im ganzen ist aus Sachen= und 
Personenrecht gemischt und mit Pflichten verbunden, jedoch veräußerlich (§ 63) und verzichtbar. 
Sachenrechtlich hat der Vassall nach älterem Recht das volle in der Lehnsgewere 
erscheinende Herrschaftsrecht im Bereiche des Lehnsverbandes, nach der späteren Entwicklung 
Untereigentum. Daher Besitz, Gebrauch und Nutzung, Ausübung der Realrechte, Vertretung 
des Gutes im Prozeß. Die Früchte erwirbt er zu allodialem Eigentum, kann daher auch für 
seine Besitzzeit einen Nießbrauch bestellen (Seuff. XIVI Nr. 106) oder verpachten. Auch 
außerordentliche Erträge gebühren ihm. Er darf aber die Substanz nicht verschlechtern, muß 
das Gut in gehörigem Stande halten und trägt auch außerordentliche Lasten. 
Personenrechtlich hat er Anspruch auf Treue; die Herrentreue ist nicht beschworen 
und enthält keine Einzelpflichten; sie äußert sich besonders in der Schutzpflicht (Lehnsprotektion) 
und in der Pflicht zur Unterlassung schädigender Handlungen (II F. 6 5+2, 26 5—4, 47). 
g 63. Lehnsveräußerung. Im elteren deutschen Recht war eine Lehnsveräußerung 
nur in Form einer Auflassung durch die Hand des Herrn möglich; sonst war sie nichtig und 
bewirkte Verlust des Lehens. Das langobardische Recht war laxer; die deutschen Kaiser aber 
führten das deutsche Veräußerungsverbot ein; ihre Konstitutionen (Lothar. II von 1136 und 
Frider. I von 1158) wurden in die libri feudorum (II F. 52 u. 55) ausgenommen und 
mitrezipiert. 
Grundsätzlich ist daher nach gemeinem Recht die Veräußerung des Lehens durch den 
Vassallen nichtig und bewirkt Lehnsverlust. Daher kann der Lehnsherr das Gut 
mit der unverjährbaren actio feudi revocatoria sofort an sich ziehen, muß es aber wieder 
herausgeben, sobald der Anfall an einen Agnaten, Eventual= oder Mitbelehnten erfolgt (nach
	        
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