Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

250 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
8 71. Die Hausgüter des hohen Adels. Im hohen Adel hat die Familienautonomie 
den Gedanken des Stammgutes zu dem des Hausgutes umgeprägt. Das Hausgut ist ein 
satzungsmäßig zu einem einheitlichen Inbegriff zusammengefaßtes und gebundenes Sonder- 
vermögen. Eigentümer des Hausvermögens ist das Haus als solches, das durch den jeweiligen 
Mannsstamm dargestellt wird; nur durch einstimmigen Familienbeschluß kann eine Verfügung 
über die Substanz getroffen, auf Rechte verzichtet oder die Folgeordnung geändert werden 
(RGer. XXII Nr. 51, XXVI Nr. 26). Das Haupt des Hauses hat ein unentziehbares Sonder- 
recht auf Besitz, Verwaltung und Nutzung; die Nachfolge richtet sich nach Hausrecht. Die 
Agnaten (Schwertmagen) haben unentziehbare Sonderrechte auf Anteil am Genuß (heute 
meist in Gestalt einer festen Rente oder Apanage, früher oft ein Nutzungsrecht an einem als 
paragium ausgesonderten Teil), auf Wahrung ihrer Anwartschaft und mitunter auch auf 
Anteil an der Verwaltung; darum hat jeder Agnat ein selbständiges Recht, jede ohne seine 
Zustimmung erfolgte Substanzverfügung — und zwar sofort, nicht erst im Sukzessionsfalle — 
als nichtig anzufechten (RGer. XXIV Nr. 38). Die Kognaten haben möglicherweise eventuelle 
Sukzessionsrechte, die Töchter auch Anspruch auf standesgemäßen Unterhalt und Ausstattung, 
die Witwen auf Wittum aus dem Hausvermögen. 
Literatur: Oben zu §# 23. 
§ 72. Die Familienfideikommisse. Der niedere AMdel vermochte, da er Autonomie nicht 
errang, nur im Wege rechtsgeschäftlicher Verfügung das Institut der Stammgüter festzuhalten 
und fortzubilden. Schon im Mittelalter vorkommend, mehrten sich seit der Rezeption Familien- 
verträge und einseitige Verfügungen, durch die für einzelne Güter über die Gesetzesregel hinaus 
Unveräußerlichkeit und Sondererbfolge eingeführt wurden; seit dem 16. Jahrhundert unter 
starker Hinneigung zur Einzelerbfolge mit Altersvorzug. Die Jurisprudenz wandte seit 
Knipschild nach italienischem und spanischem Vorbilde darauf den römischen Begriff des 
„fideicommissum familiae relictum“ an, ließ aber die Beschränkung auf bestimmte Geschlechter- 
folgen fallen und verband damit lehnrechtliche Ideen, besonders die der „successio ex pacto 
et providentia maiorum“. So entstand, in der Form ein Erzeugnis des Juristenrechts, das 
gemeinrechtliche Institut des beständigen deutschrechtlichen Familienfideikommisses. Die Parti- 
kularrechte haben es wesentlich umgestaltet (Bayr. Mand. v. 1672, LR. III c. 10, Ed. v. 1818 
mit Ges. v. 1829; Preuß. ALR. II, 4, Ges. v. 1840 u. 1855; Osterr. GB. §§ 618 ff., Ges. v. 
1868; Bad. LR. a. 577ca-ev; Weimar. Ges. v. 1833, Hannov. 1836, Braunschw. 1858, 
Hess. 1858, Sächs. v. 7. Juli 1900). 
Das Familienfideikommiß (in Sachsen jetzt „Familienanwartschaft"“) ist seinem Be- 
griff nach eine rechtsgeschäftliche Stammgutsstiftung, ein Sonderwvermögen, das durch Rechts- 
geschäft für unveräußerlich erklärt ist, um in einer Familie zur Erhaltung ihres Ansehens (des 
„splendor familiae“) von Geschlecht zu Geschlecht vererbt zu werden. 
Begründet wird es durch Rechtsgeschäft unter Lebenden oder von Todes wegen; 
zur Wirksamkeit gegen gutgläubige Dritte gehört Eintragung ins Grundbuch. Die Partikular- 
rechte fordern überdies teils gerichtliche Verlautbarung und Bestätigung, teils (in Preußen 
nur bei sehr großen Gütern) landesherrliche Genehmigung. Geeignete Gegenstände sind nach 
gemeinem Recht Grundstücke jeder Art, liegenschaftliche Gerechtigkeiten und andere beständige 
und fruchttragende Objekte, nach Partikularrechten nur Landgüter und dinglich gesicherte Kapi- 
talien (Geldfideikommisse). Der Gegenstand muß ein „ansehnlicher“ sein; die Partikularrechte 
setzen eine feste Mindestgrenze des Wertes oder Ertrages. Die Stiftung kann (außer in Bayern) 
so gut für eine bürgerliche wie für eine adlige Familie erfolgen. 
Die Rechtsverhältnisse in Ansehung des Fideikommisses ergeben sich daraus, 
daß gemäß dem Willen des Stifters ein einzelnes Familienglied jeweilig zu Besitz, Verwaltung 
und Nutzung berufen, jedoch verpflichtet ist, die Substanz unversehrt zu erhalten und dem be- 
rufenen Nachfolger zu hinterlassen. Gemeinrechtlich wird dem jeweiligen Besitzer ein durch 
dingliche Rechte der Anwärter gebundenes Eigentum zugeschrieben; Partikularrechte sprechen 
das Eigentum der Familie zu; das preußische und österreichische Recht nehmen Obereigentum 
der Familie und Untereigentum des jeweiligen Besitzers an. Die Fideikommißanwärter haben
	        
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