274 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Ersatzschuld durch den Nachweis eines unabwendbaren Zufalles ausgeschlossen. Wer in rechter
Notwehr handelt, verletzt kein Recht und schuldet daher, falls er für gehörige Feststellung sorgt,
keinen Ersatz (Sachsensp. II a. 14, 62, III a. 84 § 1). Nach der Rezeption erhielt sich gegen-
über dem römischen Recht, das nur eine Haftung aus Verschulden, und zwar allgemein nur
aus dolus, in den Fällen der lex Aquilia und bei anderen speziellen Delikten auch aus culpa
kennt, vielfach eine weitergehende Haftung deutscher Herkunft. Die großen Gesetzbücher lassen
zunächst allgemein aus jeder schuldhaften unerlaubten Handlung oder Unterlassung eine
Schadensersatzpflicht entspringen; so auch das BGB. im Falle der Rechtsverletzung, während
es bei bloßer Verletzung einer gesetzlichen Schutzvorschrift eine Haftung aus Fahrlässigkeit nur
insoweit, als auch diese mit Strafe bedroht ist, und bei bloßer Verletzung des Sittengesetzes
eine Haftung nur aus vorsätzlicher Schadenszufügung eintreten läßt. Darüber hinaus aber
kennt das geltende Recht mancherlei Fälle einer Haftung aus unverschuldeter Schadens-
verursachung. In Ubereinstimmung mit dem älteren deutschen Recht (Sachsensp. II, 65 & 1,
III, 3) muß, wer im Zustande der Unverantwortlichkeit rechtswidrig gehandelt hat, den ver-
ursachten Schaden ersetzen, heute jedoch nur insoweit, als dies der Billigkeit entspricht und ihm
dadurch nicht die Mittel zu standesmäßigem Unterhalt entzogen werden. Ferner tritt eine
Schadensersatzpflicht ohne Verschulden aus objektiv unberechtigter Selbsthilfe ein. Hierher
gehört auch die Ersatzpflicht aus unverschuldeter Täuschung des berechtigten Vertrauens im
rechtsgeschäftlichen Verkehr (bei irrtümlicher oder nicht emstlicher Willenserklärung und bei
vollmachtlosem Handeln in fremdem Namen). Sodann haftet der Unternehmer einer Eisen-
bahn oder eines gleichgestellten Betriebes reichsrechtlich für Tötungen und Körpewerletzungen
und landesrechtlich auch für Sachbeschädigungen im Betriebe, bis er höhere Gewalt oder eigenes
Verschulden des Geschädigten als Schadensursache nachweist. Endlich erfolgt in vielen Fällen
mindestens eine Umkehrung der Beweislast, so daß der Schädigende den Mangel eines Ver-
schuldens beweisen muß.
8 986. Berantwortlichkeit für Andere und für Sachen.
I. Für Andere. Nach älterem deutschem Recht mußte der Hausherr für rechts-
widrige Handlungen von Hausangehörigen (Familiengliedern, Gästen, Gesinde, Unfreien)
einstehen; zum Teil konnte er sich von der Haftung für Unfreie durch Hingabe und später von
der Haftung für freies Gesinde durch sofortige Entlassung befreien. Gegenüber dem gemeinen
Recht, das eigenes Verschulden des Hausherrn fordert, wurde eine weitergehende Haftung
partikularrechtlich (besonders im Gesinderecht) festgehalten. Das französische Recht (Code
civ. a. 1384) macht die Eltern für minderjährige, bei ihnen wohnende Kinder, den Dienst-
herrn für das Gesinde, den Lehrer für den Zögling, den Meister für den Lehrling bis zum
Nachweise, daß sie die schädigende Handlung nicht verhindern konnten, verantwortlich. Da-
gegen kennt das BGB. nur eine Haftung aus Verabsäumung der Aussichtspflicht, legt aber
dem Aufsichtspflichtigen den Beweis auf, daß er seiner Aufsichtspflicht genügt hat oder der
Schaden auch bei gehöriger Aufssicht entstanden wäre (§ 832).
Das deutsche Recht kannte auch eine Haftung des Geschäftsherrn für den von
seinen Gehilfen in Ausführung ihrer geschäftlichen Verrichtungen einem Dritten zugefügten
Schaden. Das heutige Recht erkennt grundsätzlich nur eine Haftung für das Verschulden
von Gehilfen bei Erfüllung von Verbindlichkeiten an (§ 278), während es für den Ersatz des
Schadens aus einer vom Gehilfen bei Ausführung seiner Verrichtungen begangenen uner-
laubten Handlung als solcher den Geschäftsherrn nur bis zum Nachweise eigener Schuldlosig-
keit verantwortlich macht (§ 831). Dagegen trifft eine Haftung für fremdes Verschulden nach
dem Reichshaftpflichtgesetz, soweit nicht die reichsgesetzliche Unfallversicherung an die Stelle
getreten ist, den Unternehmer einer Fabrik, eines Bergwerks oder eines gleichgestellten Be-
triebes (aus der von einem Beamten oder Angestellten schuldhaft verursachten Tötung oder
Körperverletzung). Unbedingt, aber nur mit dem Schiffsvermögen, haftet der Reeder für
das Verschulden einer Person der Schiffsbesatzung (insbesondere auch bei Schiffszusammenstößen).
Ein weiterer Fall der Haftung für fremdes Verschulden ist die landesgesetzliche Haftung
der Gemeinden für die bei einem Aufruhr angerichteten Schäden (vgl. z. B. preuß. Ges.
v. 11. März 1850).