2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 275
II. Für Sachen. Auf gemeinarischer Grundlage beruht die ursprünglich als Haftung
für fremdes Verschulden aufgefaßte Haftung des Herrn eines Tieres für den durch dieses
verursachten Schaden. Sie findet sich auch im älteren deutschen Recht, tritt aber nur bei
wilden Tieren oder bei Verschulden des Tierherrn unbedingt ein, während sie bei Haustieren
oft auf einen Teil des Schadens beschränkt ist, meist auch durch noxae datio abgewandt werden
kann, dies aber regelmäßig nur, wenn der Tierherr nach erlangter Kunde das Tier nicht mehr
gehaust oder gefüttert hat. Nach der Rezeption galt das römische Recht als gemeines Recht.
Das deutsche Recht erhielt sich aber im gemeinen Sachsenrecht und wirkte auf die Partikular-
rechte ein. Die neueren Gesetzbücher stellten zum Teil alles auf eigenes Verschulden des Tier-
herrn und schafften die noxae datio ab (Preuß. LR. I 6 §5 70—73; Osterr. G. 5 1320;
Schweiz. OR. a. 65 mit Umkehrung der Beweislast). Andere behielten die Haftung ohne
eigenes Verschulden bei, ließen aber dann die noxae datio zu (Cod. civ. a. 1385; Sächs. G.
a. 1565; das Bad. LR. a. 1385 gibt stets die noxae datio). Das BGB. war strenger als
irgendein bisheriges Recht, indem es den Halter eines Tieres schlechthin für jede Tötung,
Körperverletzung oder Sachbeschädigung durch das Tier (daneben den Aufsichtspflichtigen bis
zur Führung des Entschuldigungsbeweises) haftbar machte (§§833—834). Dieses gesunde Rechts-
prinzip ist aber durch das erste Abänderungsgesetz zum BG. (v. 30. Mai 1908) für die Haupt-
fälle wieder beseitigt; der Tierhalter kann sich durch den Nachweis eigener Schuldlosigkeit be-
freien, wenn es sich um ein Haustier handelt, das seinem Beruf, seiner Erwerbstätigkeit oder
seinem Unterhalt zu dienen bestimmt sst.
Auch eine Haftung für leblose Sachen (z. B. fallende Bäume) ist dem deutschen
Recht nicht fremd und trifft heute in gewissem Umfange den Besitzer eines mangelhaft ein-
gerichteten oder instandgehaltenen Gebäudes (BB. F#s 836—838).
§ 97. Schadensersatz und Buße. Nach dem altgermanischen Kompositionensystem
entsprang aus der Rechtsverletzung ein Anspruch des Verletzten auf eine feste Buße (bei der
Tötung für die Sippe auf das Wergeld), wobei die Gedanken der Ersatzleistung und der Privat-
strafe zusammenflossen. Mehr und mehr aber wurde der Anspruch auf Schadensersatz von
den Bußen unabhängig und neben ihnen anerkannt. Schon vor der Rezeption verfiel das
Bußensystem. Doch erhielt sich auch nach der Rezeption im Sachsenrecht das Wergeld und
eine feste Buße (Sachsenbuße) für widerrechtliche Gefangenhaltung. Auch entwickelte sich
an Stelle der Buße bei Körperverletzungen der im gemeinen Recht festgehaltene Anspruch auf
Schmerzensgeld (unvererblich, da der Schmerz mit dem Verletzten stirbt). Die römischen
Privatstrafen wurden nur teilweise aufgenommen und meist wieder abgestoßen; ihre letzten
Reste beseitigte das Reichsstrafgesetzbuch.
Nach heutigem Recht entspringt regelmäßig aus der unerlaubten Handlung nur ein An-
spruch des Verletzten auf Ersatz des Vermögensschadens. Der Anspruch geht un-
abhängig vom Grade des Verschuldens stets auf Ersatz des vollen Schadens, kann aber durch
eigene Mitschuld nicht nur ausgeschlossen, sondern auch im Umfange herabgemindert werden.
Im Falle der Tötung ist für den Verlust von Unterhaltsansprüchen oder Ansprüchen auf
Dienstleistung in Haus oder Geschäft, im Falle der Körpewerletzung für Verlust oder Minde-
rung der Erwerbsfähigkeit Ersatz durch eine Geldrente zu leisten.
Bei gewissen unerlaubten Handlungen (Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Ver-
führung einer Frauensperson mit Hinterlist, Drohung oder Mißbrauch eines Abhängigkeits-
verhältnisses, Vergehen wider die Geschlechtsehre) kann auch eine billige Entschädigung für
immateriellen Schaden (in dieser Form daher auch Schmerzensgeld und Sachsenbuße)
zuerkannt werden; hier mischt sich der Gedanke der Genugtuung ein.
Endlich kann bei der strafbaren Verletzung mancher Persönlichkeitsrechte (Körperwerletzung,
Kreditverleumdung, Urheberrechts-, Erfinderrechts= und Zeichenrechtsverletzung, unlauterem
Wettbewerb) neben öffentlicher Strafe vom Strafrichter dem Schuldigen eine an den Ver-
letzten zu zahlende Buße bis zu einem gesetzlichen Höchstbetrage auferlegt werden. Diese
moderne Buße, die an Stelle der Entschädigung tritt, aber Schadensnachweis nicht voraussetzt,
verbindet Elemente des Schadensersatzes und der Privatstrafe.
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