3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 307
und können daher bei einer allgemeinen Darstellung der Rechtsentwicklung nicht eigentlich
getrennt werden, wenngleich die Schilderung der rechtsbildenden Organe und ihrer Tätigkeit
die Hauptsache ausmachen muß.
§ 3. Quellen und Literatur. Der historischen Forschung auf dem Gebiete
des älteren römischen Rechts stehen besondere Schwierigkeiten im Wege. Urkundliches Material
beginnt erst seit dem letzten Jahrhundert der Republik reicher zu fließen. Was die Schrift-
steller über die Verfassungs- und Rechtszustände der Königs= und der frührepublikanischen Zeit
berichten, beruht sehr großenteils auf Legende, Kombination, Übertragung späterer Zustände
in die Frühzeit, oft auch auf reiner Erfindung. Selbst die überlieferten Magistratslisten, denen
noch ein Mommsen besonderes Vertrauen schenkte, weisen für die ältere Zeit so zahlreiche
Fälschungen auf, daß es unter den Historikern streitig geworden ist, ob sie als ein irgendwie zu-
verlässiges Hilfsmittel für die Rekonstruktion der älteren Geschichte angesehen werden dürfen.
Festen Boden unter den Füßen gewinnen wir freilich mit den zwölf Tafeln, deren Entstehungs-
zeit aber keineswegs unbestritten feststeht. Und über den nächstfolgenden entwicklungsreichen
Jahrhunderten liegt wiederum in vielen Richtungen tiefes Dunkel, derart, daß man z. B.
bei manchen Instituten des Privatrechts im Zweifel darüber ist, ob ihre Entstehung noch in
das fünfte oder vielleicht erst in das zweite oder letzte Jahrhundert v. Chr. zu setzen sei.
Eine eigentliche Rechtsgeschichte findet sich in der römischen Literatur nicht. Der Jurist
Sex. Pomponius hat seinem zur Zeit Hadrians verfaßten enchiridion, d. h. Handbüchlein des
Rechts, eine Art historischer Einleitung vorausgeschickt 1, worin er in drei Abschnitten ziem-
lich tumultuarisch von den Rechtsquellen, den Amtern und der Rechtswissenschaft handelt 2.
Einen wirklichen Wert hat nur der letzte Abschnitt; er bildet für uns fast die einzige Quelle
für die Kenntnis der Juristen bis Pomponius. Die beiden ersten Abschnitte enthalten neben
richtiger Uberlieferung eine Reihe grober Verstöße; darum darf man auch den Angaben des
dritten, die wir nicht kontrollieren können, nicht ohne weiteres trauen. Dies aber ist das
einzige Juristenbruchstück, worin wir auch nur den Versuch einer Darstellung der historischen
Entwicklung finden s.
Man muß das Material für die römische Rechtsgeschichte aus den
gesamten Überbleibseln des römischen Altertums zusammensuchen . Dabei kann man die
juristischen und die nichtjuristischen Quellen unterscheiden. Die ersteren sind: a) die Gesetze
(mit Einschluß der gesetzartigen Verfügungen des Senats, der Beamten usw.), soweit sie
ihrem Wortlaute nach auf uns gekommen sind, was aus der älteren Zeit sehr dürftig, aus
der späteren Kaiserzeit ziemlich umfassend der Fall ist. Die Art der Uberlieferung ist ver-
schieden, teils selbständig durch Inschriften, Handschriften, teils mittelbar durch Zitate in
Büchern. Das Nähere darüber siehe unten bei der Geschichte der Gesetzgebung selber .
b) Urkunden über einzelne Rechtsgeschäfte, Verträge, Testamente, Urteile u. a. Davon
find einzelne wenige in den ursprünglichen Wachs- oder Erztafeln erhalten, andere durch In-
1 Sie ist im Auszug in die Pandekten (1, 2, 2) aufgenommen, aber mit starken Interpola-
tionen. Besondere Ausgaben: Pomponü de origine juris fragmentum rec. F. Oösannus, 1848
(mit Erläuterungen). Schulin, Ad pandectarum tit. de orig. iuris Commentatio, 1876 (mit
bedenklichen Hypothesen). Vermutungen über die Quellen bei Sanio, Varroniana in den
Schriften der römischen Juristen, 1867.
* P 1.—12 geben eine Skizze der Entstehung und Fortbildung des römischen Rechts durch
Gesetz, wissenschaftliche Erörterung und Gewohnheit; & 13—34 schildern die Amter in ihrem
Aufkommen mit besonderer Rücksicht auf die Rechtsprechung; #m#35—53 enthalten einen Uberblick
über die Entwicklung der Rechtswissenschaft von den Anfängen bis auf Hadrian.
* Auch die Institutionen des Gaius (s. § 52), soviel historisches Material sie enthalten, sind
weit entfernt davon, eine eigentliche Rechtsgeschichte geben zu wollen.
* Bgl. P. Krüger, Gesch. der Quellen u. Literatur des röm. Rechts, 1888. Kipp,
Quellenkunde des röm. Rechts. 3. Aufl. 1909.
* Eine Sammlung aller auf uns gekommenen Gesetze u. dgl. bis ins 4. Jahrhundert n. Chr.
ist in den Fontes iuris Romani antiqui ed. Bruns (ed. VII cur. O. Gradenwitz, 1909)
1 p. 1—281 enthalten. Die durch Inschriften überlieferten Gesetze darin sind aus dem Corpus
inscriptionum latinarum entnommen. Bgl. ferner P. F. Girar d, Textes de droit Rom.
1500. (. (1912) p. 3—210. Riccobono, Baviera, Ferrini, Fontes iur. Rom. anteiust.
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