3. Bruns--Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 309
nerv abgeschnitten. Sie wandte sich daher im 17. Jahrhunderte mehr nach Holland, wo nament-
lich Noodt, Schulting und Bynkershoekt' hervorragen. In Deutschland, wo im
16. Jahrhundert eine gewisse Verbindung mit der französischen Wissenschaft bestanden hatte,
trat im 17. eine überwiegend praktische Richtung ein, der im 18. eine philosophisch-dogmatische
folgte. Historische Studien zwar wurden daneben betrieben, aber auf romanistischem Gebiet
ohne wirkliches Leben, mehr als eleganter Zierat. Nur ein Mann ist zu nennen, Heinec-
cius (1 1741), der namentlich durch seine Historia juris und seine Antiquitates iuris die
von 1719 bis 1841 nicht weniger als 20 Auflagen erlebten 2, für ein ganzes Jahrhundert und
ganz Europa maßgebend für äußere und innere Rechtsgeschichte wurde.
Ein Umschwung trat erst im 19. Jahrhundert ein durch eine Art Reaktion gegen den
naturrechtlichen Dogmatismus des 18. Jahrhunderts. Savignys namentlich legte der
Rechtsgeschichte zuerst die tiefere Ide## zugrunde, daß sie das Recht als Ausfluß des nationalen
Lebens wesentlich in seinem organischen Zusammenhange mit diesem aufzufassen und danach
bei jedem Volke in der besonderen historischen Entwicklung und nationalen Eigentümlichkeit
seiner Ideen zu erkennen habe. Auch hier standen, wie früher in Frankreich, die neuen rechts-
historischen Studien in enger Verbindung mit dem Aufschwunge der philologischen und all-
gemein historischen Studien, namentlich waren Niebuhrs Untersuchungen von maßgeben-
dem Einflusse. Eine ganz besondere Bedeutung gewann die Auffindung der Institutionen
des Gaius im Jahre 1816 4. Die reichen Enthüllungen, die sie für alle Teile des Rechts,
namentlich den Prozeß, brachten, gaben der Rechtsgeschichte vielfach geradezu neue Grund-
lagen. Sie riefen dadurch zunächst eine unendliche Masse von Einzeluntersuchungen hervor 5.
Für die Gegenwart erwächst allmählich die zwiefache Aufgabe, einmal: die Eigentümlichkeit
des römischen Rechtsgeistes nach seinen allgemeinen Grundideen aus der Fülle der Einzel-
tatsachen zu entwickeln , und sodann: das römisch-italische Rechtsleben in seinem Zusammen-
hange mit dem indogermanischen zu erfassen und den Versuch einer Vergleichung der latini-
schen Staats- und Rechtsbildung in ihren Grundlagen mit der griechischen, germanischen und
indischen zu unternehmen. Bisher steht diese Forschung noch in den schwachen, zum Teil un-
erfreulichen Anfängen 7.
: Biographien s. Jugler I 24. II 365.
„ Heineccius, Historia iuris civilis, 1733 (herausg. v. Ritter, v. Silber-
rad, v. Bauer 1765); Kutiguitetum Romanorum syntagma, 1719 (ed. Haubold 1822;
ed. Mühlenbruchkh 1841). Eine gerechte, von Übertreibung freie Würdigung der Verdienste
des Heineccius gibt Landsberg in der Gesch. d. dtsch. Rechtswiss. (s. S. 308 N. 5) III1 S. 179ff.
* Zuerst in der Schrift: Vom Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung und Rechtswissenschaft.
1814. Dann in der Einleitung zu der von ihm mit Eichhorn und Göschen herausg. Zeit-
schrift für geschichtliche Nechtshfsenschafe I 1. 1815.
* Näheres darlber unten § 52.
* Ein besonderes Organ dafür war von 1815—1850 die von Savigny, Eichhorn
und Göschen gegründete Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, 15 Bde.; seit 1861 z
es die von Rudorff, Bruns, Roth, Merkel und Böhlau gegründete Zeitschrift
für Rechtsgeschichte — im folgenden 8 RG. zitiert —, 13 Bde.; Fortsetzung: Zeitschrift (der
Savignystiftung) für Rechtsgeschichte von (Bruns, Roth), Bekker (Böhlau, Per-
nice), Schröder, Brunner, Mitteis, Stutz, bisher 32 Bde. Von ausländischen
Zeitschriften sind zu nennen: Nouv. revue histor. de droit français et étranger seit 1877 (NEH.)
und das Bullettino dell'’ Istituto di dir. Rom. seit 1889 (bull.).
Epochemachend: Ihering, Geist des röm. Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner
Entwicklung. Seit 1852; Bd. 1—3 àa (unvollendet); 4. Aufl. 1881—83. Vgl. Arnold, Kultur
und Rechtsleben. 1855; Kultur und Recht der Römer. 1868.
* Hierher gehören: Schmidt, Der prinzipielle Unterschied zwischen dem röm. und germ.
Rechte. 1853. Hahn, Die materielle Übereinstimmung der röm. und germ. Rechtsprinzipien.
1856. In anderem Sinne (Konstruktion urrechtlicher Anschauungen auf rechtsvergleichender
Grundlage): B. W. Leist, Gräko-italische Rechtsgeschichte. 1884; Altarisches ius gentium. 1889;
Altarisches jus civile. 18992. Bücheler und Zitelmann, Das Recht von Gortyn. 1885.
Ihering, Vorgeschichte der Indoeuropäer. 1894. Kohler und Ziebarth, Das Stadt-
recht von Gortyn. 1912. Freeman, Comparative politics. 1873. In diesem Kreise hält sich
auch noch: Fustel de Coulanges, La cité antique. 14. Aufl. 1895. Weiter geht:
H. Sumner Maine, Ancient law, 1861. 7. Aufl. 1878; The early history of institutions,
1875; Early law and custom, 1883. Noch mehr ausholend: Laveleye, Ureigentum, über-
setzt von Bücher, 1879. Lambert, 6tudes de droit etc. I1= 1903. Den rechtsvergleichenden
Studien dient die Ztschr. f. vergleichende Rechtswissenschaft seit 1878.