3. Bruns--Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 315
die politische Bedeutung des Geschlechtsverbandes bereits gebrochen. Die Zusammengehörig-
keit der gentiles aber macht sich noch durch Jahrhunderte geltend in der Gleichheit des Namens,
der gemeinsamen Gottesverehrung (sacra), den gemeinsamen Festen, Begräbnisstätten, Ge-
bräuchen (mores), auf privatrechtlichem Gebiet in dem der gens zustehenden Erb= und Bevor-
mundungsrecht. Den Senat aber, den Beirat des Königs, bilden nicht etwa, wie das ursprüng-
lich der Fall gewesen sein wird, die Häupter der sämtlichen gentes; er wird vielmehr vom
König nach freier Wahl aus dem Patriziat zusammengesetzt.
Das gesamte Volk, nicht etwa bloß der Patriziat, ist in 30 Kurien eingeteilt. Es ist das
eine politische Organisation der Samtgemeinde, die sich gebildet haben wird, als die gentes
ihre politische Rolle ausgespielt hatten. Die Angehörigen einer gens gehören auch zu der gleichen
Kurie; unbeglaubigt und unmöglich ist dagegen die Annahme, daß jede Kurie zehn Geschlechter
umfaßt habe. Nach Kurien findet die Abstimmung in der ältesten uns bekannten Form der
Volksversammlung statt; ebenso in alter Zeit die Aushebung zum Kriegsdienst und die Steuer-
erhebung. Sie bilden zugleich sakrale Genossenschaften, aber ohne korporativen Charakter,
mit einem Vorstand (curio, sacerdos curio sacris faciundis), der zum Gehilfen einen flamen
curialis hat. Das zur Bestreitung der Opfer erforderliche Geld (aes curionium) erhalten sie
aus der Staatskasse. An der Spitze der Kurionen steht der ursprünglich wohl vom König be-
stellte, später gewählte curio maximus.
Die Kurien verteilen sich unter die drei Tribus der Titienses, Ramnes und Luceres.
Nach der überlieferung (Cic. de rep. II 8, 14) soll diese Dreiteilung, ebenso wie die Kurien
selbst, auf Romulus zurückgehen. Sie hatte Bedeutung für die Heeresorganisation. Ob die drei
Tribus aber nichts sind als die politisch-militärische Zusammenfassung einer Anzahl von Kurien,
die durch die Jdce gemeinsamer Abstammung vermittelt wurde, oder ob es sich dabei um drei
ursprünglich selbständige, dann zu einem Staat vereinigte Stämme handelt, ist ungemein
streitig t. Für die Entwicklung des römischen Rechts ist die Unterscheidung jedenfalls be-
deutungslos.
§8. Die Familie. Innerhalb der Gemeinde und des Geschlechts nimmt die einzelne
Familie eine selbständige Stellung mit starkem inneren Leben ein. Sie bildet eine Wirt-
schaftsgemeinschaft, die von dem Familienhaupt — dem pater kamilias — regiert wird. Er
hat in seinem Hause über Frau und Kinder die absolute Gewalt des Urzustandes. Gesetz und
Staat engen sie noch nicht ein, die natürliche Sittlichkeit des Familienlebens und die Religion
sind ihre einzigen, aber genügenden Schranken. Der Hausherr ist Herr über Leben und Tod
der Hausgenossen, er kann sie verkaufen, ihr gesamter Erwerb gehört von selber ihm, und sein
Recht, über das Vermögen zu verfügen, wird durch ihr zukünftiges Erbrecht nicht beschränkt.
Nur bei sittenwidriger Verschwendung kann die gens eingreifen und ihm die Verwaltung
und Verfügung über das Erbgut (bona paterna àAvitaque) nehmen (re commercioque
interdicere). Die Söhne bleiben im Hause und in der Gewalt, auch wenn sie erwachsen sind
und heiraten und Kinder bekommen. Die Töchter treten dagegen mit der Heirat in die
Familie und Gewalt ihres Mannes; ihre Kinder gehören in dessen Familie. So scheiden
sich von selbst agnatische und kognatische Verwandtschaft. Mit dem Tode des Hausvaters
werden seine Kinder oder Enkel von verstorbenen Söhnen (sui) von selbst frei und Herren des
Vermögens. Sind keine Deszendenten da, so fällt das Vermögen ursprünglich wohl immer
an die gens 2. Doch kann, wer keine Kinder hat, um das Aussterben der Familien und Gentes
zu verhindern, unter Zustimmung des Volkes nach Voruntersuchung durch die Pontifices
einen selbständigen Bürger an Sohnes Statt annehmen (adrogare). Auch das vor den Komitien
zu errichtende Testament war schon der Zeit vor den 12 Tafeln bekannt. über seine Be-
deutung aber — insbesondere, ob es nur in Ermangelung von sui oder, wie später, auch
1 Letzteres die früher allgemein herrschende Meinung. Dagegen insbesondere Ed. Meyer,
Gesch. d. Altert. II § 58, 326; Holzapfel, Beitr. z. alten Geschichte 1 S. 228 ff.; Binder,
Plebs S. 144. Wieder anders de Sanctis, Storia dei Rom. I p. 252. Sollte W. Schulze,
Zur Gesch. lat. Eigennamen (1904) S. 218, mit der Annahme Recht behalten, daß die drei Tribus-
namen etruskischen Ursprungs seien, so wäre damit die ältere Ansicht endgültig widerlegt.
„ Wenn im Recht der 12 Tafeln dieser der nächste Agnat vorgeht, so dürfen wir darin doch
wohl schon eine vorgeschrittenere Entwicklung des Intestaterbrechts erblicken.