316 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
unter Enterbung vorhandener sui errichtet werden konnte, ob ferner der heres testamentarius
nur in das Vermögen und die darauf lastende Opferpflicht oder zugleich, anders als der
Testamentserbe der späteren Zeit, in die Stellung als Familienhaupt sukzedierte —, über all
dies sind nur sehr unsichere Hypothesen möglich 1. Die Ehe ist monogamisch und wird von
den Patriziern in religiöser Form vor Zeugen mit Auspizien und Opfern, namentlich des panis
farreus, geschlossen (confarreatio), während bei der Plebs der in der Urzeit so vieler Völker
herrschende Frauenkauf (coemptio) üblich blieb. Confarreatio wie coemptio bringen die Frau
in die volle Familiengewalt (manus) des Mannes. So war die verheiratete Frau rechtlich
von ihrem Ehemann abhängig; tatsächlich aber hat sie als materfamilias, als Herrin im Hause
eine ebenbürtige und geachtete Stellung neben ihm. Scheidung der Ehe war möglich — wie-
wohl eine unglaubwürdige Nachricht das Gegenteil behauptet —, aber selten. Sie konnte
in alter Zeit wohl nur durch den paterkamilias erfolgen und setzte der Sitte nach einen Spruch
des Familiengerichts voraus; vollzogen wurde sie bei der konfarreierten Ehe durch einen reli-
giösen Lösungsakt (diffarreatio), bei der Kaufehe durch Rückverkauf der Frau (remancipatio).
Unverheiratete Frauen stehen, wenn sie keinen Vater oder väterlichen Aszendenten haben,
unter der Vormundschaft ihrer Agnaten und Gentilen.
8 9. Die Klienten. Seit Urzeiten stehen in einem erblichen Abhängigkeits- und
Treuverhältnisse (obsequium und fides) zu den einzelnen Patrizierhäusern deren Klienten.
Sie sind frei (D. 49, 15, 7, 1) und stimmberechtigt in der Volksversammlung. Sakral gehören
sie zum Geschlechte und führen dessen Namen; jede Gegnerschaft zwischen Patronen und
Klienten, namentlich jeder Prozeß (in ius vocatio) und Zeugnisabgabe (Plutarch. Mar. 5, 4),
ist ausgeschlossen; der Patron, der den Klienten schädigt (fraudem fkacit), verfällt sakraler Ahn-
dung und umgekehrt. Der Patronat erscheint als gemindertes Herrenrecht: der Klient ist dem
Patrone zu steuerartigen Leistungen (bei Ausstattung der Tochter, Loskauf aus der Gefangen-
schaft), namentlich zur Alimentation, wahrscheinlich auch zu Frondiensten (operae), vielleicht
sogar zur Heerfolge verpflichtet; der Patron hat Erb- und Vormundschaftsrecht. Dafür muß
er den Klienten vor Gericht vertreten und ihm Unterhalt gewähren. Der Ursprung der
Klientel, die in Latium überall nachweislich ist, liegt vor aller Geschichte. Man hat in den
Klienten unterworfene Ureinwohner sehen wollen; dagegen spricht entscheidend der religiöse
Schutz und die Geschlechtszugehörigkeit. Vielmehr liegt die einfache Erklärung des Instituts
darin, daß mit der wachsenden Ungleichheit des Besitzes der ärmere Teil der Bevölkerung leicht
in wirtschaftliche und dann auch rechtliche Abhängigkeit von dem reicheren Teile gerät, auch
in Zeiten herrschender Selbsthilfe wirksamen Schutzes gegen Ubergriffe Mächtiger bedarf. Er
erlangt diesen Schutz wahrscheinlich dadurch, daß er dem Mächtigen seinen Grundbesitz überläßt
und ihn zwar zur Nutzung zurückempfängt, aber nur precario, d. h. auf beliebigen Widerruf.
Erweitert mag sich dann die Zahl der Klienten noch haben durch den Hinzutritt Landfremder,
die, um in Rom zu leben, sich einem Patrizier untergaben (ius applicationis: Cic. de orat.
1 187). Daß hingegen auch durch die Freilassung von Sklaven, die in alter Zeit nur tat-
sächliche, nicht rechtliche Wirkung hatte, ein Klientelverhältnis entstanden sei, ist eine unhalt-
bare Behauptung.
§ 10. Die Staatsverfassung dieser ältesten Zeit zu rekonstruieren ist unmöglich.
Nur die Vorstellungen lassen sich zu einem Bilde zusammenfügen, welche die römischen Staats-
rechtsgelehrten der Republik sich davon machten. Diese beruhen aber viel weniger auf sicherer
Uberlieferung als auf Rückschlüssen aus den Rechtsverhältnissen, die sie selbst vor Augen hatten;
dabei werden sie von der Neigung beherrscht, die Anfänge der einzelnen Institute schon in der
Königszeit zu finden. Danach ist die Verfassung der eigentlichen Bürgerschaft eine eigentüm-
liche Mischung von monarchischen, theokratischen, aristokratischen und demokratischen Elementen.
1 Sehr weitgehend“ Lambert, La tradition romaine sur la succession des formes du
testament devant Phist. comparative (1901).
* Daß es auch plebejische Patrone gab, erweist Plut., Ti. Gracch. 13 und Marius 5. Ein
rechtliches Hindernis dürfte dem plebejischen Patronat niemals entgegengestanden haben, seine
Verbreitung aber wohl erst der Zeit des Aufsteigens der Plebs angehören.