322 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Wesen aber war sie von allem Anfang an nichts anderes als eine auf timokratischer Grund-
lage ruhende politische Verfassung.
Die Pflicht zur Steuer (tributum) ruht auf dem Vermögen, ist aber keineswegs, wie
das Stimmrecht, nach Klassen abgestuft. Auch die Proletarier sind steuerpflichtig (aerarü.
Die orbi, d. h. die vaterlosen Unmündigen, die nicht dienstpflichtig sind, haben das aes equestre
(das Geld für die Anschaffung der Ritterpferde) aufzubringen, die viduge, die selbständigen
Frauen, das aes horcearium (das Geld für das Futter der Pferde). Wahrscheinlich waren
den einzelnen Rittern einzelne Steuerpflichtige zugewiesen (attributio), von denen sie ihre
Forderungen mit Zwangsmitteln (legis actio per pignoris capionem) einzogen.
Dies die Grundzüge der sog. Servianischen Verfassung, die im ganzen unverändert bis
in die Kaiserzeit hinein bestanden hat. Von Servius Tullius rührt sie ebensowenig her wie
die sog. Servianische Mauer. Dem fabelhaften Verfassungskönig schrieben die Römer die
Staatseinrichtungen zu, über deren Ursprung sie nichts wußten. Jene Verfassung ist aber
sicher überhaupt nicht mit einem Schlage eingeführt worden, sondern im Laufe längerer Zeit
allmählich stückweise entstanden.
UÜber das Alter der Bodentribus sind nicht einmal Vermutungen möglich 1. Sie spielen
bei dem Ständekampf (s. § 14) eine Rolle, insofern sich die Plebs auf ihrer Grundlage organi-
siert; daraus folgt aber nicht, daß sie nicht als Aushebungs- und Steuerbezirke längst zuvor
bestanden haben können. Die Zenturienverfassung stellt sich dar als Konzession einer immer
noch starken patrizischen Regierung an die aufstrebende Masse der Plebejer, darauf berechnet,
deren höhere und führende Schichten in das patrizische Interesse zu ziehen. Schwerlich ist
diese Konzession schon im 5. Jahrhundert gemacht worden: die hohe Zahl von 1800 Reitern
— die römische Legion zählt deren nur 300 — deutet auf eine Mannschaftsstärke des römischen
Heeres, die dieses etwa zu Anfang des 4. Jahrhunderts, in der Zeit der vejentischen und
Gallierkämpfe, erreicht haben mag. Der römische populus würde danach noch im ganzen
5. Jahrhundert nicht nach Zenturien, sondern nach den alten Kurien abgestimmt haben, in
denen die Patrizier vermöge ihrer Klientel weit größeren Einfluß hatten als in den Zenturien,
und auf die Kuriat-, nicht, wie Cicero : meint, auf die Zenturiatkomitien wäre der in den
zwölf Tafeln erwähnte comitiatus maximus zu deuten 3.
#* 14. Der Ständekampf. Die Plebejer waren Bürger und trugen die bürger-
lichen Lasten. Aber von der Verwaltung waren sie ausgeschlossen; Amter und Priester-
kollegien blieben patrizisch, und daß sie schon seit Beginn der Republik mit Sitz und Stimme,
wenn auch nicht mit Redebefugnis in den Senat ausgenommen worden seien (patres ket!
conscripti: Fest. p. 254), ist zwar überliefert, aber wenig glaublich. Es ist erklärlich, daß die
Plebejer, und vor allem ihre oberen, sozial aufsteigenden Schichten, nach voller Gleichberech-
tigung mit den Patriziern strebten. Für diesen Kampf um die Gleichberechtigung bedurfte
die Plebs der Organisation, und sie gab sie sich dadurch, daß sie sich Vorstände (tribuni plebis)
wählte. Die Geschichte der Einsetzung des Tribunats liegt ebenso im Dunkel wie die der all-
mählichen Entwicklung seiner Macht. Eine Fabel, eine bloße Antezipation der Ereignisse des
Jahres 287, ist die angebliche Sezession des Jahres 494. Nach Liv. II 58, 1 wäre im Jahre
471 — durch eine lex Publilia — die Wahl der Tribunen den comitia tributa überwiesen
1 Insbesondere vermag ich den Vermutungen K. J. Neumanns (Die Grunddherrschaft
der röm. Republik 1900, auch Ullsteins Weltgeschichte I S. 373 f.) nicht beizutreten. Er sieht
in den altrömischen Patriziern Grundherren, die ihre Ländereien durch Hörige bewirtschaften.
Die Aufhebung dieser örige eit, die römische „Bauernbefreiung“, setzt er aus Gründen, die hier
beiseite bleiben müssen, in das Jahr 457 und bringt mit dieser eine Aufteilung des Grundbesitzes
in Verbindung, die ihren Ausdruck in der Entstehung der Bodentribus fand. Die angeblich darauf
beruhende Zenturienordnung, freilich eine andere als die überlieferte von 193 Zenturien, setzt
er in das Jahr 456 v. Chr. Zu einer Kritik im einzelnen ist hier nicht der Raum. Mir scheint
Neumanns Hypothese schon an der Erwägung zu scheitern, daß sie eine siegreiche soziale
Revolution und damit ein Übergewicht der Plebs voraussetzt, das diese im 5. Jahrhundert sicher
noch nicht gewonnen hatte.
de re publ. II 36, 61; de leg. III 4, 11; 19, 44; pro Sestio 30, 65; 34. 37.
* Bgl. zu der ganzen obigen Darstellung A. R ose nberg, ünterf. z. röm. Zenturien-
verfassun? (1911).