3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 323
worden, worunter hier jedenfalls nur nach Tribus gegliederte Versammlungen der Plebs (con-
cilia plebis) verstanden werden könnten: damit wäre vereinbar, daß die Wahl vorher in anderer
Weise, z. B. in Kurienversammlungen, stattgefunden hätte. Diodor (XI 68) läßt im Jahr 471
erstmals vier Tribunen eingesetzt werden 1, womit nicht gesagt ist, daß es vorher überhaupt
noch keine Tribunen gab. Nur das wird man wohl mit einiger Bestimmtheit annehmen
dürfen, daß der Tribunat schon der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts angehört. Daß die
Tribunen von allem Anfang an die Machtvollkommenheit besessen haben sollten, alle Maß-
regeln der Beamten, des Senats und der Volksversammlung durch persönliches Einschreiten
(intercessio) zu hemmen, ist durchaus unglaublich; diese Macht können sie erst im Lauf einer
langen Entwicklung erlangt haben. Wohl aber wird es von jeher ihres Amtes gewesen sein,
den einzelnen Plebejer gegen Willkürakte der Magistrate zu schützen. Sie klagen Patrizier,
die sich gegen das Volk vergangen haben, an, und die Plebs verpflichtet sich, ihr eigenes Urteil
am Schuldigen zu vollstrecken. Vielleicht war das in den zwölf Tafeln enthaltene Verbot „de
capite civis rogari nisi maximo comitiatu“ in seinem ursprünglichen Sinne gegen diese
Notwehrgerichtsbarkeit der Plebs gerichtet, während die römische Überlieferung darin die Pro-
vokation gegen die Kapitalurteile der Konsuln zugelassen glaubt. Diese Provokation dürfte
aber erst durch eine lex Valeria von 300 eingeführt worden sein, von der Liv. X 9 berichtet lsie
habe verboten „eum qui provocassit virgis caedi securique necari“ 2.
Der Kampf der Plebs um die Gleichberechtigung hat bekanntlich schließlich zu vollem
Erfolge geführt. Die Etappen aber, in denen dieser Sieg errungen wurde, können nur zum
Teil mit einiger Sicherheit festgestellt werden. Historisch ist gewiß die Kodifikation des Land-
rechts in den zwölf Tafeln (§ 15), wie auch, daß dadurch ein Begehren der Plebs erfüllt wurde,
die in der gesetzlichen Fixierung des Rechtes eine Sicherung gegen Willkür der Magistrate und
Geschworenen erblicken mußte. Wenn dagegen die leges Valerise Horatiae von 449 bestimmt
haben sollen (Liv. III 55), „ut quod tributim plebes iussisset, populum teneret“ und „ne quis
ullum magistratum sine provocatione crearet“, so nimmt die erste Bestimmung den 287 er-
folgten Abschluß des ganzen Klassenkampfes voraus, und die zweite antezipiert den Inhalt der
Vorschrift der eben erwähnten lex Valeria von 300. Weiter wird man wohl annehmen dürfen,
daß die Plebejer das conubium schon bald nach den zwölf Tafeln erlangten: ob dies aber durch
ein Plebiszit geschah, wie es die lex Canuleia von 445 gewesen wäre (Cic. de rep. II 37, 63,
Liv. IV 1 sq.), erscheint recht problematisch. Einen entschiedenen Fortschritt bedeutete für die
Plebs, daß seit 438 (nach der Uberlieferung schon seit 444) das Bedürfnis der Kriegführung ()
die Ersetzung der beiden Konsuln durch eine größere Zahl tribuni militum consulari potestate
veranlaßte, welches Amt den Plebejern zugänglich war und seit dem Anfang des 4. Jahr-
hunderts auch tatsächlich öfter von ihnen bekleidet worden ist; die etwa gleichzeitig 3 (443° 4352)
vom Oberamt losgelöste Zensur blieb freilich noch lange den Plebejern verschlossen (die Zensoren.
haben die Schatzung, die Reiteraushebung, die Senatsergänzung, das Bauwesen und später
eine sittenrichterliche Befugnis). In die Periode des Konsulartribunats wird auch die bereits
besprochene Einführung der sog. Servianischen Verfassung fallen. Der Konsulat muß den
Plebejern gegen die Mitte des 4. Jahrhunderts zugänglich geworden sein; wenn aber einer lex
Licinia Sextia von 367 die Bestimmung zugeschrieben wird, daß immer mindestens einer der
Konsuln Plebejer sein müsse, so widerspricht dem die Tatsache, daß in den folgenden Jahrzehnten
noch für eine ganze Anzahl von Jahren zwei patrizische Konsuln bezeugt sind. Mit der Zu-
lassung der Plebejer zum Konsulat bringt die römische Tradition wohl mit Grund die Schöpfung
gewisser neuer, zunächst den Patriziern vorbehaltener Amter in Verbindung: der Urbanprätur
1 Der Bericht Diodors ist als die relativ beste Überlieferung anzusehen. Vgl. Niese,
De ann. rom. obs. (I). Marb. 1886, Ed. Meyer, Hermes XXX S. 1 . Gegen die von
Niese gezogenen Folgerungen auf das Alter des Tribunats s. aber Binder, Die Plebs (1909)
S. 236 n. 130, Soltau, Philologus 1912 S. 267 f.
: Erst daraus entwickelte sich dann ein Strafverfahren vor den Komitien. Der Quästor (statt
des Konsuls) rechtfertigt das von ihm erlassene (Vor-) Urteil vor dem Volke: der Sache nach also
tritt er als Ankläger auf. Damit ist zugleich die Tötung und Stäupung römischer Bürger als
Polizeistrafe beseitigt.
9 n- über die verschiedenen Ansichten: Leuze, Zur Gesch. der röm. Zensur (1912)
S. 95 ff.
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