Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

330 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
Prozeßformeln veranstaltet, Flavius sie ihm gestohlen und in Form eines Buches veröffent- 
licht haben, das man später ius (civile) Flavianum nannte. Nach Livius (IX 46, 5) soll er gar 
das ganze „civile ius repositum in penetralibus pontificum“ veröffentlicht haben. Des- 
gleichen wird ihm die öffentliche Bekanntgabe des Prozeßkalenders zugeschrieben. Zum Dank 
für diese willkommenen Veröffentlichungen habe das Volk ihn zum Adilen gewählt. Man hat 
sich diese nicht vor dem letzten Jahrhundert v. Chr. nachweisbare Legende 1 geschichtlich zurecht- 
zulegen versucht, indem man als den eigentlichen Urheber der Publikation den genialen Appius 
Claudius selbst hinstellte, der den Cn. Flavius nur als Werkzeug gebraucht habe. Sehr viel 
wahrscheinlicher aber als diese ganze Uberlieferung ist die Annahme, daß die Durchbrechung 
des pontifizischen Monopols und die allmähliche Verbreitung der Rechtskunde zusammenhängt 
mit der Eröffnung des Pontifikalkollegiums an die Plebejer, die um etwa 300 erfolgt ist. Darauf 
deutet es auch, wenn von Tib. Coruncanius (cos. 280), dem ersten plebejischen pontifer maxi- 
mus, berichtet wird, daß er primus prokiteri ccepit, und daß vor ihm publice professum neminem 
traditur Pomponius § 38. 35). Die wie gewöhnlich dunklen Worte wollen anscheinend besagen, 
daß Coruncanius zuerst bei Erteilung von Gutachten jedem den Zutritt gestattete; jeder konnte 
also die praktische Handhabung der Rechtssätze kennen lernen. Das war eine Art öffentlichen 
Unterrichtes in der „Geheimwissenschaft". Von da ab mag sich dann das entwickelt haben, 
was Pomponius die „disputatio fori“ nennt: in Gutachten und Gerichtsreden werden wider- 
sprechende Anschauungen geltend gemacht (wie etwa bei der von Cicero, de orat. II 39; p. Caec. 
18, 53 erwähnten causa Curiana in betreff der substitutio tacita), eine Entwicklung, die für 
die Weiterbildung des Rechts von größter Bedeutung sein mußte. 
§ 18. Das Fremdenrecht und ius gentium?:. Die Römer haben stets an 
dem Grundsatze festgehalten, daß das römische Landrecht (ius civile) nur auf den römischen 
Bürger Anwendung finden könne. Grundsätzlich erscheint ihnen der Fremde in Rom als rechtlos 
(D. 49, 15, 5). Der Fremde scheint Gerichtsschutz ursprünglich nur dadurch erlangt zu haben, 
daß er sich in die kides eines Bürgers ergab (§ 9) oder begab; dieser trat dann für ihn, später 
neben ihm vor dem Gerichte auf. Aber diese Beschränkung ließ sich nicht aufrechterhalten. Vor 
allem nicht den Latinern gegenüber. Diese hatten als Stammgenossen dasselbe Recht und 
auf Grund des alten Bundesvertrages das commercium, d. h. die Fähigkeit, sich an Manzipa- 
tionen, die ja nicht bloß die römische, sondern die gemeinlatinische Form der dinglichen Rechts- 
übertragung waren, wirksam als Subjekt oder Zeuge zu beteiligen 3, also insbesondere Eigen- 
tum (zu ihrem ius civile) von einem Römer zu erwerben und (zuseinem imns civile) an 
ihn zu veräußern. Gewiß genossen sie ferner von jeher Rechtsschutz vor dem römischen Ge- 
richte, wenn ihnen auch der römische Bürgerprozeß — die legis actio und späterhin das iudi- 
cium legitimum — nicht zugänglich war 4. Anders war die Rechtslage sonstiger Rom gegen- 
über selbständiger Staaten und Gemeinden, wie Karthago, Massilia, die unteritalischen und 
griechischen Städte. Hier mußten besondere Verträge abgeschlossen werden (Polyb. III 22 teilt 
die Verträge mit Karthago mit), die die Formen der Rechtshilfe, mitunter wohl auch des rechts- 
geschäftlichen Verkehrs, geregelt, insbesondere die zuständigen Gerichte bezeichnet haben werden 5. 
In Rom war der Gerichtsstand vor dem praetor urbanus, später (seit ca. 241) vor dem praetor 
peregrinus. Als Geschworene fungierten höchstwahrscheinlich Rekuperatoren (Liv. XLIII2). Über 
das Verfahren in diesen Rechtssachen ist uns nichts überliefert; vielleicht liegt hier die Wurzel 
des später in den Bürgerprozeß übernommenen Formularverfahrens. Welches materielle 
Recht aber wurde den Urteilen zugrunde gelegt? Man darf sich nicht vorstellen, daß auch dar- 
über jene Verträge Bestimmungen enthalten, noch weniger, daß die römischen Gerichte auf 
1 Vgl. über sie Seeck, Die Kalendertafel der Pontifices (1885) S. 1f. 
„ M. BVoigt, Das ius naturale, 2egnum et bonum u. ius gentium der Römer. 4 Bde. 
1856—1875. Mommsen, Staatsrecht III 601 ff.; Krüger, Gesch. der Quellen § 6. 
: Nur hierin bestand die Vorzugsstellung der Latiner anderen Fremden gegenüber. Vgl. 
W.lassak, 83RG. 41 S. 116. 
Gegen Girar d, Organ. judic. I p. 206 n. 2, 213 ss. vgl. Wlassak, 8RG. 41 S. 114 f. 
* Ein Bild davon, wie wir uns derartige Verträge zu denken haben, gewähren uns die in 
iemlicher Zahl erhaltenen Rechtshilfeverträge zwischen griechischen Gemeinden. Vgl. Hitzig, 
ligriech. Staatsverträge über Rechtshilfe. 1907.
	        
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