Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 331 
den Verkehr mit Fremden ihr ius civile angewendet hätten, das für Fremde nicht galt und nicht 
gelten wollte und Griechen oder Karthagern unbekannt und unverständlich war. Vielmehr 
galt im ganzen Altertum primär das Prinzip der Personalität der Rechte 1. Der Bürger einer 
jeden Gemeinde, eines jeden Staates steht unter dem Recht dieser Gemeinde, dieses Staates, 
insbesondere beurteilt sich danach die Frage, ob und wie weit er durch Verträge verpflichtet 
wird 2. Freilich ist nicht zu bezweifeln, daß dieser Grundsatz unter Umständen zu Schwierig- 
keiten und Kollisionen führen mußte. Hier waren die römischen Gerichte darauf angewiesen, 
das maßgebende Recht in ihrer eigenen Praxis zu entwickeln und festzustellen, und diese Praxis, 
die der Prätoren und Provinzialstatthalter wie auch der Geschworenen, kommt daher als zweite 
Quelle des Fremdenrechtes in Betracht, eine Quelle, deren Bedeutung um so mehr steigen 
mußte, je größer die Menge von Peregrinen wurde, die als Bundesgenossen oder Untertanen 
dem römischen Reichsverbande angehörten. Durch diese Praxis ist z. B. die spezifisch römisch- 
latinische Vertragsform der Stipulation in das Fremdenrecht herübergenommen und sind 
die zivilen Deliktsklagen auf Peregrinen übertragen worden (Gai. III 92, IV 37). 
Mit dem Fremdenrecht darf auf keine Weise verwechselt werden, wie es leider häufig 
geschieht, das von den Römern so genannte jus gentium 3. Das ius gentium ist vielmehr ein 
Teil des römischen Rechtes selber, die Gesamtheit derjenigen römischen Rechtsinstitute, die sie 
in dem Recht der anderen antiken Völker (der gentes, griechisch 0#) übereinstimmend 
wiederfanden. In diesem Sinne unterscheidet Gai. I1 1 zwischen dem ius civile, das ist dem 
national eigentümlichen ius proprium populi Romani, und dem bei allen Völkern und darum 
auch bei den Römern geltenden ius gentium, das ist dem commune omnium hominum ius. 
Wurzel dieses letzteren aber ist nicht etwa das Fremdenrecht — nirgends tritt ein derartiger 
Gedanke in einer antiken Quelle hervor —, sondern die naturalis ratio, das älr#a# 
9ou#v der griechischen Philosophie #. Genau wie Gaius unterscheidet zwischen dem ius 
duod quisque populus ipse sibi constituit und dem quod naturalis ratio apud omnes homines 
constituit, genau ebenso unterscheidet Aristoteles (Eth. Nicom. 5, 10, Ed. Berol. II p. 1134): 
toũ o nokt####c 3#Kedloo r usé# r REv Son, vrô 8 voptk#O#, Pbdt#s udèt k navrago# 
abrr S% S6 aR#t 5, und an einer anderen Stelle (Rhet. 1, 13, Ed. Berol. II p. 1373): 
A##r# 5à véucv Eô ud [Si s 32 #, 510 udd #5 èudrog tutévor ## 
abrs k rodros r6% uLIÜoy. drpoapov vô 54 Jerpappévov, K%#% & r#o ar#d S. 
Eben diesen Begriff finden wir bei Cicero, Sallust, Seneca, Quintilian 7, und Gaius selbst 
führt dieselben Rechtsinstitute abwechselnd auf die naturalis ratio und auf das ius gentium 
zurück 3, offenbar beides vollkommen identifizierend. Nicht um Fremdenrecht handelt es sich 
also hierbei, sondern um eine theoretische Konzeption, mittels deren sich die Römer die Geltung 
gewisser Bestandteile ihres Rechtes zurechtlegten, derjenigen nämlich, die sie gleichermaßen 
bei den anderen gentes des antiken Kulturkreises vorfanden ?; es gehört dahin sehr natürlich 
insbesondere das ganze Gebiet, auf dem Formfreiheit und Billigkeit herrschte. 
Als eine Erweiterung des ursprünglichen Begriffs wird es anzusehen sein, daß man — als man 
inneward, daß auch im ius quod apud omnes populos custoditur positive, nicht naturale Be- 
  
1 Vgl. hierzu die überzeugenden Ausführungen Barons, Peregrinenrecht und ius 
gentium (1892). 
* Bol. Ga i III 120, 134. 
* Bgl. hiegegen Baron in der angeführten Schrift, Perozzi, Istituzioni 1 p. 67 ff. 
Diesen Hinweis (anders Voigt a. a. O. 1 38 13f.) verdanke ich meinem Kollegen Partsch. 
* Der naheliegende Gedanke, einem Rechtssatz dadurch besonderes Gewicht zu geben, daß 
man sich auf seine übereinstimmende Geltung bei allen Hellenen oder auch bei allen Völkern über- 
haupt beruft, kommt schon vor Aristoteles vor. Bgl. Isocrat. Aeginet. (or. XIX) § 50: vnonyn. 
5z 30uei rokz’ I# dx iz: Isaeus, zapl 205 Mee 9° (or. II) § 24: zal reis # 
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xpõvrai ## abr##. Auch den Hinweis auf diese Stellen verdanke ich Herrn Prof. Partsch. 
Man achte auf die Übereinstimmung mit Gaius: quod quisque populus ipse sibi ius con- 
stituit; zu dem #%#“ communi omnium hominum iure. 
Cic. de har. resp. 14, 32; de off. III 5, 23 (wenn hier kein Glossem vorliegt); III 17, 69; Sall. 
lug. 22, 4; Quintil. VII 1. 44; Seneca de benef. 1 9, 4; III 14, 3. 
* BUgl. Gai. II 65, 66, 69, 70, 73, 79 mit Gai. 2 rer. cott. D. 41, 1, 1 pr., 3 pr., 5 97, 7 5 1, 9 5 3. 
Darum heißt es bei Cic. de off. III 17, 69: duod (ius) civile, non idem continuo gentium, 
qducd autem gentium, idem civile esse debet.
	        
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