Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

334 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
gehungen (Rechtsbeugung, Feigheit vorm Feinde, Kriegserklärung ohne Vollmacht). Von 
dieser Strafe wird regelmäßig Berufung an die Tribus eingelegt, und das Verfahren gestaltet 
sich nunmehr ganz von selbst als Ablegung der Rechenschaft in betreff der Amtsverwaltung. 
s 21. Umgestaltung der Tribus und Zenturien. Beide Komitien sind 
nichts weniger als demokratische Versammlungen. Ursprünglich umfassen beide nur die An- 
sassigen; die letzte Zenturie der capite censi kommt tatsächlich nicht in Betracht. Allerdings 
aber sind die Zenturien äußerlich aristokratischer, weil die großen Grundbesitzer unverhältnis- 
mäßig mehr Stimmen haben als die kleinen. Dafür stimmen in den Tribus die Nachbarn zu- 
sammen. Das Prinzip der absoluten Demokratie, daß schlechthin die Mehrzahl aller Bürger 
entscheidet, wie in Athen und heutzutage in der Schweiz und bei den modern französischen sog. 
Plebisziten, galt in den Tributkomitien und bei den römischen Plebisziten nicht. Die Abstim- 
mung nach Tribus konnte, wie jede Abstimmung nach Abteilungen, leicht dahin führen, daß 
die Mehrheit der Tribusstimmen keineswegs der Mehrzahl sämtlicher Einzelstimmen entsprach. 
Mit der Ausdehnung des Bürgergebietes (ager Romanus) wird die Zahl der Tribus all- 
mählich vermehrt in der Weise, daß das Gebiet der neuen Gemeinde das Stück einer Tribus 
bildete. Das scheint aber auch auf die persönliche Zugehörigkeit der Neubürger zu den Tribus 
eingewirkt zu haben: sie wurden alle in die Tribus ihrer Heimatsgemeinde eingeschrieben, z. B. 
sämtliche ansässige Arpinaten in die Cornelia, auch wenn ihr Grundbesitz in einem anderen Be- 
zirke lag. Für möglichst gleichmäßige Verteilung der Bürger in die Tribus hatten die Zensoren 
zu sorgen. So wuchs die Zahl der Tribus bis zum Jahre 241 allmählich auf 35, die vier alten 
städtischen und 31 Landtribus. Später wurden keine neuen Tribus mehr gebildet, sondern 
die neuen Bürger in die alten verteilt, vielleicht aus der Erwägung heraus, daß sonst die ent- 
fernten Tribus leicht durch wenig anwesende Bürger hätten vertreten werden und möglicher- 
weise ein Übergewicht hätten erlangen können. Selbst als nach dem Bundesgenossenkriege 
durch die leges lulia (90) und Plautia (89)) die ganze Fülle der Italiker zum Bürgerrechte ge- 
langte, hat sich dies Verhältnis nicht geändert. Vielleicht wollte die lex lulia neue Tribus bilden; 
nach der lex Plautia sind die Neubürger in acht Landtribus eingeschrieben. Aber dabei ist es 
nicht geblieben, wie manche annehmen; sondern durch Cinna und Sulpicius sind die Italiker 
auf alle Landtribus verteilt und die Grundstücke allen zugeschrieben worden; nunmehr gilt 
ager Romanus und solum ltalicum gleich. Indes, die so geschaffenen Neubürgergemeinden 
gehen nicht mehr, wie die alten conciliabula (§ 12 a. E.), verwaltungsmäßig in der Stadt Rom auf. 
In der Tat hatten sie als Bundesstädte volle Selbstverwaltung gehabt; sie wurde ihnen nicht 
genommen, sondern umgekehrt sogar, wie es scheint, den bisherigen Präfekturen städtische Ver- 
fassung gewährt (lex lul. mun. v. 84 p. 106 Br.). Andrerseits aber wird immer noch an dem 
Gedanken festgehalten, daß das römische Bürgerrecht stadtrömische Gemeindeangehörigkeit sei. 
So ergibt sich, daß jeder Bürger einer Landstadt als solcher auch Stadtbürger von Rom ist; er 
hat demnach eine zwiefache Heimat, die origo in Rom, der communis patria, und die domus 
in seiner Ortsgemeinde (D. 50, 1, 33; 48, 22, 18). 
Weit früher war schon eine Umgestaltung der Tribus eingetreten. Ap. Claudius nahm 
in seiner Zensur (312) auch auf Grund beweglichen Vermögens die Bürger in die Tribus und 
damit in die wehrpflichtigen Zenturien auf; das Gesamtvermögen soll also für die Steuer maß- 
gebend sein; möglich, daß Claudius nur die Folgerung aus diesem schon anerkannten Satze zog. 
Der Erfolg dieser Maßregel war: humilibus per omnes tribus divisis et forum et campum 
corrupit (Liv. IX 46), die Demokratisierung der Tribus, namentlich durch das Eindringen der 
Freigelassenen, und damit auch der Zenturien. Der Schritt wird durch Q. Fabius Maximus 
Rullianus halb zurückgetan (304): er schrieb die sämtlichen nicht ansässigen Bürger in die städti- 
schen Tribus ein. Immerhin ist es bei der Willkür der Zensoren möglich, daß auch einzelne 
Nichtgrundbesitzer in die ländlichen Tribus übernommen wurden. Dagegen ist das Stimmrecht 
der Freigelassenen später noch mehr beschränkt: trotz mancher Schwankungen ist es schließlich 
dabei geblieben, daß alle, auch die ansässigen Libertinen, in den städtischen Tribus standen. 
Grundsätzlich aber ist hiernach spätestens seit Claudius anerkannt, daß jeder freigeborene Bürger 
einer Tribus angehört; das wird auch auf die capite censi ausgedehnt. So ist die Tribus Be- 
standteil des Namens (8. Sulpicius Lemsonia]) Rufus) und, von besonderen Fällen abgesehen,
	        
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