3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 347
zumal kin dessen griechisch redendem Teile, diese mit dem römischen Bürgerrecht beschenkten
Peregrinen nach ihren alteinheimischen Rechten gelebt. Nun wurde plötzlich das Prinzip der
Rechtseinheit für das ganze Reich aufgestellt; die neuen Bürger wurden mit dem römischen
Recht, römischen Rechtsinstituten und Geschäftsformen beglückt, denen sie innerlich fremd
gegenüberstanden, und dies, wie es scheint, ohne jede Anleitung, wie der Ubergang in die neuen
Rechtszustände sich vollziehen sollte. Die neuen Bürger mußten wohl oder übel eine Ehre darin
sehen, als Bürger der Stadt Rom, der „communis patria“, nach deren Recht beurteilt zu werden,
die Beamten ließen sich jedenfalls nicht leicht mehr auf etwas anderes als die römischen Gesetze,
Edikte und juristischen Bücher ein, und die Kaiser machten vollends keine Unterschiede mehr.
Die Lage der griechischen Provinzialstädte muß unter diesen Umständen geraume Zeit hindurch
keineswegs beneidenswert gewesen sein, und man begreift, daß in der hellenistischen Zeit des
Reichs zwischen dem offiziell angeordneten Recht und der tatsächlichen Rechtsanwendung eine
breite Kluft sich auftat, daß vielfach das altererbte „Volksrecht“ sich entgegen dem Reichsrecht
seine tatsächliche Herrschaft zu wahren wußte und, als nun der Schwerpunkt des Reichs sich
mehr und mehr nach dem Osten verlegte, einen immer stärkeren Einfluß auf die Reichsgesetz-
gebung selbst gewann. Nur um diesen Preis konnte allmählich die wirkliche Rechtseinheit des
Reiches angebahnt werden 1. Unterstützend wirkte die Einführung des Christentums, durch
welches in den religiösen Beziehungen, namentlich der Ehe und Familie, von selbst alle Ver-
schiedenheiten aufgehoben wurden. Alles dies machte, daß man im Laufe des 4. und 5. Jahr-
hunderts der Durchführung der Rechtseinheit durch alle Provinzen des Reiches immer näher
kam, ohne das Ziel indes vollständig zu erreichen.
Sofort mit der Begründung der Kaiserherrschaft machten sich die ersten Anfänge der
Bewegung bemerkbar, die schließlich zur Teilung des Reiches führte. Rom blieb freilich die
Hauptstadt, obschon der Plan aufgetaucht zu sein scheint, den Schwerpunkt nach Osten zu ver-
legen, und Italien stand außerhalb der Provinzialverwaltung. Die Trennung in der Verwaltung
zwischen dem lateinischen Westen und dem griechischen Osten beginnt auf dem Gebiete des Heer-
wesens 2. Die allgemeine Wehrpflicht war tatsächlich beseitigt; das in Grenzbesatzungen ver-
teilte stehende Heer wird aus Freiwilligen und Ausgehobenen gebildet. In den Legionen
dürfen nur Bürger dienen. Aber man nimmt auch freigeborene Provinzialen städtischer Her-
kunft, denen das Bürgerrecht verliehen wird. Das wesentliche ist, daß seit August die west-
lichen Grenzbesatzungen sich aus dem Westen, die östlichen aus dem Osten des Reiches ergänzen.
Seit Hadrian erhalten die Legionen ihren Ersatz aus den kaiserlichen Provinzen, in denen sie
stehen. Damit ist hier die administrative Scheidung und der nationale Gegensatz der beiden
Reichshälften festgestellt. Sie finden ihren Abschluß in Diokletians Verfassung, die den Gegen-
satz durch die Trennung der Verwaltung bei festgehaltener Reichseinheit zu überwinden ver-
suchte.
II. Reichsverfassung.
§ 33. Kaiser und Senat. Der übergang der republikanischen Verfassung in eine
monarchische war durch wiederholte Erschütterungen der bestehenden Ordnung und durch miß-
lungene Restaurationsversuche seit langer Zeit vorbereitet. Cäsar unternahm, auf Grund der
lebenslänglichen Diktatur, die Königsherrschaft tatsächlich zu erneuern; er brach mit den aristo-
kratischen Uberlieferungen vollständig und stützte sich auf Volk und Heer. Augustus ist ihm
darin nicht gefolgt. Er legte seine außerordentliche Gewalt im Jahre 27 nieder und stellte,
wie die amtliche Wendung lautet, die Republik wieder her. Rechtlich ist die Augusteische Ver-
fassung eine Teilung der obersten Regierungsgewalt zwischen dem Princeps, als dem ersten
lebenslänglichen Beamten des Volkes, und dem Senate unter der Leitung der Konsuln (Dyarchie).
Aber die kaiserliche Gewalt ist rechtlich und noch viel mehr tatsächlich die weitaus stärkere 3. Der
Kaiser hat den ausschließlichen Befehl über das Heer, die Ernennung der Offiziere und die
1 Den Nachweis zu der im Text gegebenen Darstellung liefert das in der vorigen Note
angeführte Buch von Mitteis.
: Mommsen, Hermes XIX S. 1—79. 210—234.
* Mommsen, Röm. Staatsrecht II S. 793—1171.