3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 355
kommisse (Konsuln und praetor fideicommissarius), gesetzliche Alimenten- und Dotalansprüche
(Konsuln), Ansprüche auf Freilassung und Emanzipation (praetor de liberalibus causis),
Honorar- und Salarforderungen (praetor urbanus?). Andere Sachen werden als dem öffent-
lichen Rechte angehörig überhaupt nicht im Zivilprozesse verhandelt, wie Ararial- und Fiskal-
sorderungen und -schulden (praetor aerarü, praetor fiscalis) und Pollizitationen (Konsuln).
In allen diesen Fällen war der Kaiser oberste Instanz; seine Entscheidungen und Verfügungen
an den Unterrichter mußten also bindend sein.
#l 42. Auf allen obigen Gebieten ist der Einfluß der Kaiseraufdie Rechts-
bildung ein sehr bedeutender, wenn nicht ausschließender 1. Die Dekrete und Reskripte
sollen freilich zunächst nur Anwendung des bestehenden Rechtes auf die emzelnen Fälle ent-
halten. Aber hier war ja eine Ordnung überhaupt erst durch die Praxis zu schaffen. Und dabei
versteht es sich, daß die Kaiser in freierer Weise verfahren und Rücksichten der Billigkeit und
Zweckmäßigkeit in größerem Maße einfließen lassen konnten, als dies dem gewöhnlichen Richter
möglich gewesen wäre. Doch muß man anerkennen, daß sie es mit einem so echt juristischen
Takte und Sinne getan haben, daß diese ganze Rechtsbildung mit zu den glänzendsten Seiten
des römischen Rechtslebens gehört. Der Grund dafür liegt darin, daß die Kaiser sich der Fach-
juristen als Berater bedienten und sie in ihr consilium zogen. Diese Behörde (auditorium), aus Sena-
toren und Rittern gebildet, für die Zwecke der Rechtsprechung und Rechtweisung? bestimmt, wird
seit Hadrian fest organisiert. Von ihm ist namentlich sicher überliefert, daß er Juristen in seinem
consilium hatte. Und mit ihm beginnt nach der Kodifikation des Ediktes die unmittelbare Ein-
wirkung der Kaisererlasse auf die Rechtsbildung überhaupt, auch außerhalb der in § 41 bezeich-
neten Sondergebiete. Schwierig ist es zu bestimmen, inwieweit dieser kaiserliche Einfluß durch
Dekrete und Reskripte auch auf den ordentlichen Prozeß mit Geschworenen übergriff. Gegen
die Verfügung des Prätors durfte sicherlich an den Kaiser, wie früher an die Tribunen, Be-
rufung eingelegt werden 8. Er mag dann allmählich nicht bloß vernichtet und zurückverwiesen,
sondern selbst entschieden habeen. Das machte sich dann auch im Formularverfahren geltend.
Dagegen ist zweifelhaft und bestritten, ob auch der Geschworenenspruch im Wege der Berufung
durch den Kaiser abgeändert werden konnte ". In den kaiserlichen Provinzen aber wurde wohl
überhaupt nicht mit Geschworenen verhandelt; in den senatorischen geriet das Institut der
Schwurgerichte mehr und mehr in Verfall: der index privatus wird zum Unterrichter (iudex
datus, pedaneus). Damit dehnt sich das Gebiet der kaiserlichen Gerichtsbarkeit immer weiter
aus. Zweifelhaft ist es, ob die Kaiser auch auf Parteianfragen im Formularverfahren Reskripte
erließen. Die Einholung eines kaiserlichen Gutachtens wäre an sich nicht ausgeschlossen. Aber
in dem eigentlichen Restkriptsverfahren vertritt der kaiserliche Bescheid so vollständig die Formel,
daß für beide kaum Platz ist. Sicher aber haben die Prätoren ihnen bekannte Reskripte analog
verwertet (Inst. 4, 6, 30). — Nach allem dem erweckt es eine unrichtige Vorstellung, wenn man
die richtende und gutachtende Tätigkeit der Kaiser als Kabinettsjustiz bezeichnet. Jedenfalls
ist sie im ganzen nicht gemißbraucht worden. Nach dem Untergange der großen Jurisprudenz
treten die Reskripte gewissermaßen an die Stelle der responsa der Juristen. Ihre Zahl stieg
nunmehr ins Ungeheure; von Diokletian allein kennen wir gegen 1300. Auf uns ge-
kommen sind sie hauptsächlich durch die späteren Sammlungen 5.
#*#43. Rechtskraft. Die Erlasse der Kaiser wurden mit dem allgemeinen Worte
constitutio bezeichnet, mit Ausnahme, wie es scheint, allein der Mandate (D, 1, 4, 1). Im
Manche moderne Schriftsteller aben die Ergebnisse dieser kaiserlichen Rechtsschöpfung
als „ins extraordinarium“ dem ins civile und honorarium gegenüberstellen zu dürfen geglaubt.
Gegen diese auf Mißverständnis der Quellen beruhende Terminologie vgl. Wlassak, Krit.
Studien S. 51 ff.
„Haubold, De consistorio prineipum (opusc. I 186—314); ebendarüber und über
vielerlei anderes Cudq, Le conseil des em aurn. 1884.
* Merkel, bhandlun en II (1
Bgl. Perrot, L'appel dans la ha. de l'ordo iudic. (1907).
* Die außerdem erwähhten oder überlieferten Konstitutionen von Augustus bis Konstantin
hat gesammelt Haenel, Corpus legum ab imperatoribus romanis latarum (1857) p. 1—182,
ein Werk, das heute selbstverständlich der Ergänzung bedarf. Die inschriftlich erhalterlen Erlasse
bei Bruns, Fontes I p. 249 sq.
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