3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 365
juristischer Lehrer, im consilium des Pius, Marcus und Lucius; er wurde als juridicus von
Alexandrien 175 ermordet; Sex. Caecilius Africanus, Julians Schüler und Aus-
schreiber (neun Bücher Quästionen); L. Ulpius Marcellus (CIlL. III 3807), im Staats-
mte M. Aurels (D. 28, 4, 3), der Julians Neuerungen gegenüber eingelenkt zu haben scheint;
und O. Cervidius Scaevola (unter M. Aurel), der als Lehrer des späteren Kaisers
Sever und Papinians den UÜbergang zu der Gruppe rein praktisch gerichteter Juristen der
Severischen Zeit bildet. Aemilius Papinianus, Domitius Ulpianus und
Julius Paulus sind die nach der Meinung der Folgezeit bedeutendsten von allen.
Papinian galt als der Gipfel der römischen Jurisprudenz, obgleich er nicht sehr viel ge-
schrieben hat, fast nur responsa (19 Bücher) und quaestiones (37 Bücher). Er war praekectus
praetorio unter Septimius Severus und als solcher mit auf dessen Feldzuge in Britannien.
Von ihm mit dem Schutze seiner Söhne, Caracalla und Geta, betraut, wurde er von dem
ersteren, dem älteren, ermordet, weil er die Ermordung des letzteren verhindern und nicht
rechtfertigen wollte (DO. 28, 7, 150). Ulpian war aus Tyrus gebürtig; allmählich in der pro-
kuratorischen Laufbahn emporgekommen, aber nie, soviel wir wissen, Rechtslehrer, stieg er
bis zum praekectus praetorio unter Severus Alexander und wurde von den Prätorianern,
deren Zügellosigkeit er bändigen wollte, ermordet. Seine vielen Schriften gewannen durch
ihre Klarheit und Vollständigkeit, die er, ähnlich wie Pomponius, durch Ausnutzung und nicht
immer kritische Einarbeitung der Schriften seiner Vorgänger erreichte, eine solche Bedeutung,
daß ein ganzes Dritteil der Pandekten aus ihnen entnommen ist 1. Paulus war mit oder
nach Ulpian praekectus praetorio und der fruchtbarste unter allen römischen Juristen; er
schrieb über 90 verschiedene, zum Teil sehr große Werke 2.
Nach diesen, etwa seit der Mitte des dritten Jahrhunderts, finden sich keine Schrift-
steller von Bedeutung mehr; doch erweisen die kaiserlichen Reskripte das Fortbestehen einer
produktiven Jurisprudenz noch bis unter Diocletian , trotz des kläglichen Zerfalles des
Reiches, wo in 50 Jahren 17 Kaiser aufeinander folgten und nur zuletzt Diocletians Tatkraft
den Staat vom Untergange rettete.
§ 51. Die Schriften der römischen Juristen. Justinian sagt, in den
Pandekten seien die Schriften sämtlicher benutzten Juristen auf ein Zwanzigstel reduziert; da-
nach würde die ganze juristische Literatur der Kaiserzeit nur etwa 20—30mal so viel wie die
Pandekten ausgemacht haben, also, da diese fünf mäßige Oktavbände füllen, nur 100—150 Oktav-
bände. Diese Berechnung erscheint aber nicht annehmbar. Sie bezieht sich lediglich auf die
Werke, welche die Kompilatoren noch hatten und kannten: das war aber nur ein Bruchteil der
Literatur und namentlich vielfach nur Auszüge umfassenderer älterer Werke. Labeo allein
hatte 400 Bücher geschrieben; von Pomponius können wir nahe an 300 nachweisen; Paulus
war mindestens ebenso fruchtbar; Ulpian stand wenig hinter ihm zurück. Setzt man nach den
Büchern des Cicero und Livius den durchschnittlichen Umfang des volumen auf 36—40 Oktav-
seiten, so ergeben 10 Bücher einen mäßigen Oktavband. Dann belaufen sich allein die Werke
der ebengenannten vier Schriftsteller auf 120 Bände, und danach war die Gesamtmasse der
juristischen Literatur von ziemlich erheblichem Umfang.
Die juristische Schriftstellerei, wie sie uns bekannt ist, umfaßt das gesamte positive Recht.
Rechtsphilosophie und Naturrecht wurden, soweit wir sehen können, von den Juristen nicht
bearbeitet; sie sahen im Rechte selbst die Philosophie, veram non simulatam (Ulpian. D. 1, 1,
1, 1). Die einzelnen Teile des Rechtes sind in verschiedener Weise und in verschiedenem Um-
fange behandelt. Im öffentlichen Recht knüpft die Schriftstellerei an die einzelnen Amter an:
Gaius ist es doch recht zweifelhaft bestellt; insbesondere sind seine Institutionen, wenn sie auch
da und dort Ausblicke auf das Provinzialrecht enthalten, doch augenscheinlich vom stadtrömischen
Standpunkt aus geschrieben. Vgl. Wlassak, Prozeßgesetze II S. 224 N. 10. Kübler,
a. a. O. unter II.
: Jörs, bei Pauly--Wissowa s. v. Domitius Ulpianus. Das Urteil, das A. Per-
nice (Sitzungsber, der Berliner Akademie, 1885, S. 446 ff.) über Ulpian als Schriftsteller fällt,
erscheint nach dieser höchst sorgsältigen Untersuchung, mag auch Ulpian mit seinen großen Vor-
gängern nicht zu vergleichen sein, doch als allzu ungünstig.
* K. Witte, Ersch u. Grubers Encyklop. III S. 221 ff.
" Hofmann, Kritische Versuche (1885) I.