3. Bruns-Lenel, Geschichte und Qucllen des römischen Rechts. 373
einander verknüpften Grundsätzen: 1. Vollständige Trennung der militärischen und zivilen
Befugnisse; nicht einmal die militärischen und die Verwaltungsbezirke decken sich. Dagegen
ist im Zivilamte Gerichtsbarkeit und Verwaltung ungeschieden. Doch tragen die bürgerlichen
Beamten, weil ihr Amt ebenfalls als eine Art militia gilt, Soldatenmantel (paenula) und
Schärpe (cingulum). 2. Durchgängige Besoldung, aber ohne Pensionsberechtigung. 3. Er-
nennung durch den Kaiser regelmäßig auf ein Jahr (per indictionem). Die Ernennung ge-
schieht durch Erlaß an die Reichskanzlei; dort wird der Name in die „Matrikel“ (laterculum)
eingetragen und das Patent (codicilli dignitatis) kostenpflichtig ausgefertigt. 4. Abstufung
der Amter nach Titeln (seit etwa der Mitte des 4. Jahrhunderts heißen die drei obersten Rang-
klassen illustres, spectabiles, clarissimi) 1, nach Gehalt und nach Unterordnung (sub dispositione):
der Niedere steht unter Befehl und Zucht (Gerichtsgewalt) des unmittelbaren Vorgesetzten.
Die Zivilverwaltung ist Zentral- und allgemeine Staatsverwaltung. Bei ersterer ist
keine ganz strenge Scheidung zwischen Hof= und Staatsdienst. Der Kaiser ist so sehr mit dem
Reiche verselbigt, daß auch seine nächste persönliche Umgebung — der praepositus s. cubiculi
(Oberstkämmerer) und der castrensis s. palatü (der Pagenmeister) als ülustris und spectabilis —
unter den Würdenträgern und Beamten steht. Die eigentlichen Staatsämter am Hofe (digni-
tates palatinae) sind: der magister officiorum, der Obersthofmarschall: Führer der Palast-
truppen und Vorgesetzter der Hofdienerschaft, zugleich Leiter der großen Hofkanzlei, der Post
und des Zeremonienwesens; er vereinigt also Hof= und Staatsstellung, die Würde ist offenbar
durch willkürliche Zusammenlegung verschiedenartiger Befugnisse entstanden; der quaestor
S. palatü, der Reichskanzler?; er hat die Gesetze und die Bescheide des Kaisers zu entwerfen,
darüber Vortrag zu halten und die Unterschrift des Kaisers zu erwirken; die Kräfte der Hof-
kanzlei stehen ihm dabei zur Verfügung; der comes largitionum und der comes rei privatge,
die beiden Reichsfinanzminister. Die Hofkanzlei ist viergeteilt (scrinium memorige, epistu-
larum, libellorum, dispositionum); tribuni und notarü arbeiten darin; an ihrer Spitze der
primicerius notariorum, spectabilis und Mitglied des Staatsrats: er führt die Matrikel der
höheren Beamten (laterculum maius). — Zu den Hofbeamten zählen auch die sog. agentes
in rebus: eine große Anzahl von Männern ohne bestimmtes Amt zur Verfügung des Kaisers.
Er besetzte daraus erledigte Stellen und benutzte die einzelnen zu besonderen Aufträgen. Die
schola steht unter dem magister officiorum.
§ 60. In der allgemeinen Staatsverwaltung tritt allbeherrschend auf
der Gedanke der mechanischen Reichseinheit durch Zentralisienung der Verwaltung. Die Selbst-
verwaltung wird bis auf geringfügige Uberbleibsel in den untersten Verwaltungskörpern, den
Gemeinden, beseitigt. Die hergebrachten landsmannschaftlichen Provinzialverbände werden
in kleine Verwaltungsbezirke zerschlagen, wie die französischen Provinzen in Departements;
sie sind weniger widerstandsfähig und leichter zu übersehen. Die Provinzialverwaltung wird
einer mehrfachen Aufsicht in aufsteigenden Instanzen, zuletzt der der unmittelbaren Vertrauens-
männer des Kaisers unterworfen. So laufen alle Fäden beim Kaiser zusammen.
Der eigentliche Verwaltungsbezirk ist die Provinz. Der Leiter (consularis, rector oder
corrector, praeses) : hat die gesamte Verwaltung, namentlich die Steuererhebung, vor allem
aber die Gerichtsbarkeit. Er richtet in Zivil= und Straffällen in erster Instanz, sogar auf Todes-
strafe kann er erkennen; nur geringfügige Sachen gehören vor das Stadtgericht: da ist der Präses
dann Berufungsgericht (wie unsere Landgerichte). Das Gericht hat seinen festen Sitz in der
Hauptstadt; Geschworene gibt es nicht mehr: in weniger erheblichen Fällen und bei Geschäfts-
überhäufung darf der Präses einen Unterrichter (iudex pedaneus) bestellen, von dessen Spruche
Dagegen gehören die in den früheren Auflagen hier angeführten Titel perfectissimi und
egregim nicht hierher. Diese beiden Titel gehen bis auf das 2. Jahrhundert zurück, haben in ihrer
Bedeutung sehr gewechselt und sind der erste, nur noch für Subalternbeamte, inschriftlich zuletzt
387, " zweite 321 nachweisbar. Vgl. O. Hirschfeld, Sitzungsber. der Berl. Akad. 1901
S. 5
à Bgl. über ihn Noailles, les collections des novelles (1912) chap. 1.
* Der praeses steht dem consularis im Range nach, während corrector wohl nur das Amt
und nicht den Rang bezeichnet — der corrector kann consularis sein. Vgl. Karlowa,
Rechtsgeschichte I S. 858.