3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 375
waltet der Bischof selbständig, ohne Kontrolle und Rechnungslegung, das Kirchengut: nur Ver-
außerungen sind erst erschwert, dann geradezu verboten. Die Einkünfte sind für ihn selbst, den
Gottesdienst und die Gebäude, den Unterhalt der Geistlichen, die Armenpflege und Wohltätig-
keit bestimmt. Aber erst allmählich wird es Grundsatz, daß für jeden dieser Zwecke ein Viertel
verwendet werden müsse. Die Machtstellung des Bischofs ist also auch dadurch bedeutend.
§s 63. Einfluß des Christentums. Die Bischöfe hatten hiernach keine feste
und anerkannte Stellung im Verwaltungsorganismus. Desto größer war ihr persönlicher
Einfluß auf die Mehrzahl der Kaiser (wie der des Ambrosius auf Gratian). Sie haben ihn
benutzt, um Vorrechte für die Rechtgläubigen und Verfolgung der Andersgläubigen zu erwirken,
aber nicht um die kaiserliche Gesetzgebung mit christlichem Geiste zu durchdringen. Das innere
Leben der Kirche geht im Streit über das Dogma auf. Im Grunde sind es nur zwei Ideen
des Christentums, die einen bedeutenden Einfluß erlangten, die Keuschheit und die Wohltätig-
keit. Die naive Sinnlichkeit des Altertums war allmählich in eine bodenlose Liederlichkeit ohne
Scham und Sitte umgeschlagen. Augustus hatte zwar durch seine lex Papia entgegenzuwirken
und die Ehe zu heben gesucht, aber in den Strafen der Ehe- und Kinderlosigkeit und den Be-
lohnungen für die Verheirateten und mit Kindern Gesegneten auf eine rohe und beschränkte
Weise. Die asketische Richtung des Christentums rief hier wesentliche Anderungen hervor.
Zwar vermochten auch die christlichen Kaiser die Erlaubtheit des Konkubinats und die Freiheit
der Ehescheidung nicht zu beseitigen, doch wurde sie beschränkt, und auch sonst die Ehe würdiger
behandelt. Die Wohltätigkeit als Tugend war ein dem Heidentume fremder Begriff; weder
Cicero (ce okkicüs) noch Seneca (c benekicüiüs) sprechen davon; das Christentum rief
sie aber in der mannigfachsten Weise hervor, und die Kaiser haben sie in ihrer Weise mit Gesetzen
und Privilegien geschützt und gefördert. Dahin gehört die Sorge für die Findlinge — die Kinder-
aussetzung hatte erschreckend zugenommen, so daß christliche Schriftsteller sogar (wohl auch mit
Rücksicht auf die Keuschheit) das Dreikindersystem empfahlen (Lactant. inst. 6, 20) — und für
die Kriegsgefangenen — römische Untertanen wurden in Masse von den Barbaren weggeschleppt:
in beiden Richtungen steht die Gesetzgebung entschieden unter kirchlichem Einflusse. Sonst, und
namentlich auf dem Gebiete des Privatrechts, ist von einer Einwirkung des Christentums im
Sinne der Menschlichkeit nicht viel zu spüren. Die Sklaverei ist nicht aufgehoben: sie wurde
von der Kirche als Rechtsinstitut anerkannt; man ist kaum über die Milderungen der Antonine
hinausgegangen (etwa C. Th. 15, 8,2 zugunsten prostituierter Sklavinnen). Nur die Freilassung wird
als ein Werk der Barmherzigkeit bei den Laien gefördert; die Anerkennung der manumissio in
ecclesia hat mitchristlichen Ide#en nichts zu tun. Ebenso wenig werden die Härten des Strafrechts und
die Bedrückungen des Volkes im allgemeinen gemildert. Man könnte hierher nur etwa rechnen
die vereinzelt auftauchenden schwächlichen Versuche der Kaiser, durch Gesetze die Ausbeutung
der Notlage der „miseri homines“ zu verhindern, besonders den „elenden Schuldnerm" zu helfen:
die Ausdehnung des Selbsthilfeverbotes (durch Valentinian), das Verbot der lex commissoria
durch Constantin, die lex Anastasiana, die Einführung der Anfechtung wegen laesio enormis
(durch Justinian, nicht Diocletian; C. 4, 44, 2. 8 sind interpoliert). Doch ist ein wirklicher Zu-
sammenhang all dieser Maßregeln mit christlichen Anschauungen nirgends nachzuweisen 1, und
es liegt weit näher, sie auf die dem Despotismus eigene Tendenz zu Wohltaten auf fremde
Kosten zurückzuführen.
III. Gesetzgebung.
§ 64. Daß die Gesetzgebung sich vollständig im Kaiser konzentriert, versteht sich
von selbst. Der Kaiser ist der alleinige Gesetzgeber, und sein Wille ist unbedingt Gesetz. Die
Gesetze werden daher nun einfach vom Kaiser erlassen, und zwar jetzt, wie früher vom Volke,
mit dem kaiserlichen iubemus oder sancimus. Die Kaiser Theodos II. und Valentinian III.
erklären zwar im Jahre 446, sie wollten kein Gesetz ohne Anhörung und Zustimmung des Senats
In starkem Maß wird christlicher Einfluß auf die Justinianische Kodifikation angenommen
von Riccobono, Riv. di scienze „Scientia“ 1909 Nr. 9, Riv. di dir. civ. 1911 Nr. 1, m. E.
ohne ausreichenden Beweis. Gegen ihn Baviera in den mél. Girard 1912.