3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 379
abredung stets in beiden publiziert werden sollten, sind im abendländischen Reiche gleichfalls
zu einer Sammlung vereinigt worden und dadurch teils direkt, teils im Auszug im westgotischen
Gesetzbuche auf uns gekommen 1. Man nennt sie bei uns die posttheodosischen No-
vellen. Es sind über 100, sie betreffen meistens Verwaltungs-, Straf- und Kirchenrecht.
Neben diesen Sammlungen der Kaisergesetze finden sich im 4, oder 5. Jahrhunderte auch
zwei Versuche, das ältere Recht aus den Schriften der Juristen mit dem Konstitutionenrechte
zu verbinden. Man unterschied beides als jus und leges.
I. Die sog. fragmenta Vaticana. In der Vatikanischen Bibliothek sind im Jahre 1821
in einer größeren Handschrift 33 reskribierte Blätter gefunden worden, die zu einer ziemlich
umfangreichen Sammlung von ius und leges gehört haben müssen. Bei Anfertigung der neuen
Handschrift sind die Blätter zerschnitten: daher fehlt den Zeilen bald der Anfang, bald der Schluß.
Sie enthalten sieben Titel über Kauf, Nießbrauch, dos, Vormundschaft, Schenkung und Pro-
kuratoren. Das ius besteht nur in Exzerpten aus Papinians, Ulpians und Paulus“' Schriften,
Gaius fehlt. Die leges sind fast nur Reskripte bis zum Jahre 318, offenbar aus dem cod. Gregor.
und Hermog. entnommen, außerdem nur drei unverkürzte weitschweifige Gesetze von Con-
stantin und eines von Valentinian I. vom Jahre 372. über den Ursprung der Sammlung,
namentlich ob sie Privatarbeit oder amtlich war, wissen wir gar nichts. Angefertigt ist sie wahr-
scheinlich im Occident, entweder in den ersten oder den letzten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts,
je nachdem die erwähnten vier Gesetze ursprünglicher Bestandteil oder späterer Zusatz sind 2.
II. Die lex Dei, dguam Deus praecepit ad Moysen, gewöhnlich collatio legum Romana-
rum et Mosaicarum genannt. Es ist das eine Zusammenstellung des römischen und jüdischen
Rechtes in 16 Titeln, überwiegend Strafrecht, nur tit. X de deposito, tit. XVI de legitima
successione. Das mosaische Recht geht voran, dann folgen Stellen aus den Werken von Gaius,
Papinian, Paulus, Ulpian und Modestin, Konstitutionen der Kaiser, darunter eine von Valen-
tinian, Theodos und Arkadius von 390 (5,2 = C. Th. 9, 76). Offenbar ist eine Vergleichung
beabsichtigt; der Verfasser will die Ubereinstimmung des heidnischen Rechtes mit dem mosaischen
dartun (vgl. Tertull. apol. 45). Daher muß das Buch in christlicher Zeit entstanden sein, und
zwar vor 438 (dem Codex Theodosianus), und nicht vor 390; ungerechtfertigt ist die Meinung,
daß es, weil es nur die Zitierjuristen berücksichtige, erst nach 426 entstanden sein könne 3. Daß
(5,3) Theodos II. als lebend erscheine, ist nicht zutreffend. Als Verfasser hat man ohne Grund
den Kirchenvater Rufinus (Huschke) oder den h. Ambrosius (Rudorff) oder den h. Hieronymus
(Conrat) vermutet “.
In diesen Zusammenhang gehören endlich noch zwei Werke, die sich gleichfalls als Kompi-
lationen aus älteren Schriften darstellen:
III. Die sog. consultatio veteris cuinsdam juris consulti de pactis: es sind gutachtliche
Antworten auf eine Reihe von Fragen aus dem Vertragsrechte. Ob die Antworten von dem-
Gothofreds Tode von Marville 1665 herausgegeben, in 2. Aufl. von Ritter 1736—45.
Nicht zu dem Codex Theodosianus gehören, sind aber in Mommsens Ausgabe mit enthalten
(von Hänel 1844 als Supplement der seinigen gesondert herausgegeben) die von J. Sirmondus
1631 veröffentlichten sog. constitutiones Sirmondianae. Es sind das 18 fast nur kirchliche Ge-
setze von 318—425, die im cod. Theod. teils nur exzerpiert, teils gar nicht ausgenommen,
in fränkischen Handschriften aber erhalten sind, von Gothofred jedoch wegen ihres Inhaltes für unecht
gehalten waren.
Neueste Ausgabe: Leges novellae ad Theodosianum pertinentes ed. adiutore Th. Mommseno
Paulus M. Meyer 1905 (2. Hand der Ausgabe des C. Theod.). Daneben zu nennen: Novellae
constitutiones imperatorum Theodosü II etc., ed. Haenel. 1848.
* Erste Ausgabe: vom Entdecker Kardinal Angelo Mai: iuris civilis anteiustinianei
reliquiae ineditae. 1823. Neueste in der coll. libr. iur. III p. 1 sq. von Th. Mommsen.
1890. Dazu das Apographum: Codicis Vaticani exemplum, ed. Mommasen. 1860. 4°.
* Mit Recht wird hiergegen von Huschke und Mommsern bemerkt, daß das Zitier-
esetz mit dem Hinweis auf die fünf Zitierjuristen höchstwahrscheinlich nur eine bereits bestehende
raxis sanktioniert habe. Vgl. Mommausen, I. c. p. 127.
* Es gibt drei Handschriften aus dem 8.—I11. Fahrhundert. Erste Ausgabe: PFithon,
Fragm. quaedam Papiniani al. cum Moysis legibus collata. 1573. Neueste: in der coll. libr.
jur. III 9 107 sq. von Th. Mommsen. 1890. — Rudorff, Ursprung und Bestimmung
der lex Dei. 1869 (Abhandlungen der Berliner Akademie). Triebs, Studien zur Lex dei
H. 1. 2 (1905. 1907).