Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

380 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
selben Juristen oder von mehreren herrühren, ist zweifelhaft. Die Frager sind jedenfalls An- 
wälte, und der Gutachter gibt ihnen in zum Teile bedenklicher Weise Ratschläge in ihrem Sinne. 
Überall werden die Belegstellen beigefügt: sie sind Paulus' Sentenzen und den drei Co- 
dices entnommen. Die Abfassungszeit ist ungewiß. Doch scheint die Schrift am besten in die 
zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts zu setzen. Sie ist vielleicht in Frankreich entstanden, wo sie 
zuerst erwähnt wird 1. 
IV. Das sog. syrisch-römische Rechtsbuch, eine unvollständige und unsystematische Dar- 
stellung römischen Rechts — hauptsächlich Erb-, Ehe-, Freilassungsrecht, Strafrecht und Prozeß —, 
mit mancherlei fremdartigen Beimischungen. Aussprüche der klassischen Juristen liegen wohl 
zugrunde, sind aber durch die Uberarbeitung fast unkenntlich gemacht. Das an sich wissenschaft- 
lich wertlose Werk hat große Bedeutung eben durch jene Beimischungen, die auf das Vulgar- 
recht der östlichen Provinzen, vor allem auf das griechische? zurückgehen. Das Buch ist ur- 
sprünglich griechisch geschrieben, dann in verschiedene orientalische Sprachen (in das Syrische, 
Arabische, Armenische, Koptische) übersetzt worden und liegt in mehreren Redaktionen vor, 
die erheblich voneinander abweichen und auch nicht der gleichen Zeit angehören. Das ursprüng- 
liche Werk ist nicht, wie man früher glaubte, erst um 476 verfaßt. Als Verfasser nennt eine 
Redaktion den Ambrosius confessor, d. h. den h. Ambrosius 3. Nach einer wahrscheinlichen 
Vermutung ist es aber in seiner ersten Gestalt noch vorconstantinisch und in der Patriarchats- 
kanzlei zu Antiochia entstanden. Es hat in der ganzen orientalischen Christenheit Verbreitung 
erlangt, ist dort von den geistlichen Gerichten benutzt worden und, die Justinianische Gesetz- 
gebung lange überlebend, bis in sehr neue Zeit in praktischem Gebrauch geblieben “. 
B. Justinian. 
# 67. Das abendländische Kaiserreich war untergegangen, Italien von 
den Ostgoten erobert, ein neues Reich durch Theoderich gegründet, da bestieg in Kon- 
stantinopel im Jahre 527 ein Mann den Thron, der, weder an Geist noch Charakter groß, doch 
durch geschickte Benutzung der Verhältnisse und Personen noch einmal eine Art Restauration 
des altrömischen Reiches und seines Glanzes durch Verbindung von Italien, Asien und Afrika 
mit Griechenland herzustellen vermochte und für das römische Recht in kurzer Zeit die Arbeit 
ausführte, die notwendig war, um es zu einer Art geschichtlichen Abschlusses zu bringen und 
so seinen Ubergang auf die Nachwelt zu ermöglichen. Dies ist Justinian, der im Jahre 
482 in Tauresium, einer kleinen Stadt des heutigen Serbiens, geboren ist ö. Sein Onkel 
Justinus, der sich vom gemeinen Soldaten allmählich zum Kaiser emporgeschwungen hatte, 
ließ ihn studieren und in den Staatsdienst eintreten, nahm ihn 527 zum Mitkaiser an, starb aber 
1 Aus einer jetzt verlorenen Handschrift herausgegeben von Cujaz 1577; Krüger, 
Tollectio III p. 199 sq. 
* Mitteis, Reichsrecht u. Volksrecht S. 313 f., 537 f. 
* Mitteis, Abh. der Berl. Akad. 1905 S. 17 f., legt dieser Angabe wohl mehr Gewicht 
bei, als sie verdient. Das Werk steht unter dem, was einem Mann von der Bildung des H. Am- 
brosius zuzutrauen ist. 
* Zuerst vollständig mit großem Kommentar herausgegeben von Bruns und S achau, 
Syrisch-römisches Rechtsbuch (1880). Sodann auf Grund neu entdeckter Handschriften: Sachau, 
Syrische Rechtsbücher I (1907), dazu Partsch, 3N6. XII S. 423 ff. r*i auch die lateinische 
Übersetzung von Ferrini in Riccobono, Baviera, k errini, Fontes II p. 637 sq. 
Ludewig, Vita lustiniani 1731. J. #ryce:. The life of J.v. by Theophilus (English 
historical review. I887. N. 8 p. 657 ss.). In dieser musterhaften Untersuchung ist folgendes nach- 
gewiesen. Zuerst Alemanni hat in Vorrede und Anmerkungen zu seiner Ausgabe der historia 
arcana des Prokop (1623) auf eine Lebensbeschreibung Justinians von seinem Lehrer, dem Abte 
Theophilus, hingewiesen und einzelne Angaben daraus gemacht. Andere, bis in die Neuzeit, haben 
ihm diese nachgeschrieben. Die Schrift ist nie veröffentlicht und nirgends eine Handschrift auf- 
zufinden. Bryce hat aber in der Bibliothek Barberini einen kurzen lateinischen Aussatz mit er- 
läuternden Anmerkungen entdeckt, den sein Verfasser als Auszug aus dem Leben Justinians von 
einem Abt Bogumil bezeichnet. Bogumil ist Theophilus. Jene Erläuterungen hat der bosnische 
Bischof Mrnavic (1579—1639) geschrieben, ein unkritischer erfindungsreicher Slawist, der 
mit Alemanni Beziehungen hatte, so daß die von Bryce gehegte Vermutung, er selbst habe die 
Vita Justiniani erdichtet, sehr nahe liegt. Es sprechen aber doch entscheidende Gründe gegen seine 
Verfasserschaft und für die Abfassung in etwas früherer Zeit (um 1600) durch einen der pan- 
 
	        
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