3. Bruns--Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 381
bald darauf und hinterließ ihm den Thron, den er bis zu seinem Tode 565 behielt 1. Justinians
Persönlichkeit ist weder imponierend noch anziehend. Er war ehrgeizig und in den früheren
Jahren seiner Regierung von unermüdlichem Eifer, aber in entscheidenden Momenten unsicher
und verzagt. Er wußte seine Mitarbeiter in Krieg und Frieden zu wählen, verfolgte sie aber
mit Mißtrauen und Eifersucht und hatte stets ein offenes Ohr für die Verleumdung. Maßlose
Eitelkeit machte ihn zum Opfer der Schmeichelei. Wie so vielen Despoten, war ihm gelegentlich
Milde nicht fremd, aber auch Grausamkeit nicht und Hinterlist. Seine Frömmigkeit steigerte
sich zu fanatischer Frömmelei. Seine Erfolge nach außen verdankte er lediglich seinen Feld-
herren Belisar und Narses, gegen die er dann doch wieder argwöhnisch und undankbar
war. Größere persönliche Bedeutung wird man ihm bei seiner gesetzgeberischen Tätigkeit zu-
sprechen können, da er dazu durch Studium und Staatsdienst vorbereitet war und offenbar
seine Hauptpläne schon von daher mit auf den Thron brachte. Das Hauptverdienst in der
weiteren Durchführung hat aber auch hier sein Justizminister Tribonianus, ein Pam-
phylier, der em bedeutendes Talent gewesen sein muß und dabei von seinen Zeitgenossen als
ein menschenfreundlicher, freidenkender, liebenswürdiger und witziger Mann geschildert wird,
freilich auch als habsüchtig und gewissenlos 2.
Die Bedeutung der legislativen Tätigkeit beider besteht nun keineswegs bloß in der Be-
werkstelligung der großen Sammlungen, sondern ebensosehr auch in den mehr als 500 neuen
Gesetzen, wodurch die lange vernachlässigte römische Rechtsentwicklung jetzt in kurzer Zeit in
einer Menge der wichtigsten Punkte erst zu dem nötigen oder wenigstens möglichen Abschlusse
gebracht wurde. Zwar hätte eigentlich noch viel mehr geschehen sollen, und auch alle jene Gesetze
leiden an den oben besprochenen Mängeln der späteren Kaisergesetzgebung, unklarer Erkenntnis
der Aufgabe und mangelhafter Lösung, namentlich in technischer Beziehung, allein im ganzen
und wesentlichen haben sie doch meistens die rechte Richtung und übertreffen jedenfalls weit
die ganze voraufgehende Gesetzgebung seit Constantin.
§J 68. Der Verlauf der Justinianischen Gesetzgebung ist im einzelnen
folgender:
1. Der alte Kodex. Die eigenen Erfahrungen, die Justinian im Staats-
dienste über den trostlosen Zustand der Rechtsquellen gemacht hatte, hatten offenbar den Plan
in ihm erweckt, als Kaiser durchgreifende Reformen darin vorzunehmen. Schon wenige
Monate nach Justins Tode fing er damit an. Das erste war eine neue Sammlung der Kon-
stitutionen, unter Vereinigung der drei bisherigen Codices zu einem, so daß ihre Geltung auf-
hören sollte, Beseitigung des Veralteten, Hinzunahme der neuen Gesetze, besserer Anordnung
des Ganzen; Wiederholungen sollten vermieden, Widersprüche beseitigt, nach Klarheit und
Kürze gestrebt werden. Am 15. Februar 528 wurde eine Kommission von sieben Beamten,
zwei Advokaten und einem Professor eingesetzt; den Vorsitz führte der Exquästor Johannes;
Tribonian gehörte der Kommission an: er war damals, wie es scheint, Abteilungschef
slawistischen Gelehrten jener Zeit (Jagic, Arch. f. slaw. Philol. XI S. 300 f.). Unzweifelhaft
machte Alemanni seine Angaben lediglich nach dieser Vita. Ob ihr Verfasser seine Erzählung aus
der Tradition nahm oder ob es wirklich ein Leben Justinians von Bogumil gab, ist ohne Bedeutung:
glaubwürdig wäre der Bericht in keinem Fall. Den Slawen war Justinianus ein sagenhafter
Held ihres Stammes geworden, weil er da geboren wurde, wo sie später saßen, ähnlich wie Theoderich
den Deutschen. So fallen alle Nachrichten zusammen, die sich allein auf Theophilus stützen:
Justinians fslawische Abkunft (die Slawen waren damals noch nicht so weit südlich vorgedrungen:
Rösler, Sitzungsberichte der Wiener Akademie. 1873. 1 S. 115 ff.), der Name Uprauda, die Namen
der Eltern und Verwandten, der Heldenkampf mit Reccared, der Aufenthalt am Hofe Theo-
derichs usw.
1 Diehl, Justinien 1901.
: -Ranke, Weltgeschichte IV/: findet die Bedeutung Justinians darin, daß er dem Kaiser-
tume die alte Stellung unter den Völkern wieder begründete durch seine Eroberungen, seine Bauten
und seine Gesetzgebung. Die Quellen der Geschichte des Kaisers sind vor allem die Schriften des
Geheimschreibers Prokop. Dessen historia arcana, die auch den Hofklatsch aufzeichnet, hält Ranke
für unecht (S. 300 ff.). Ganz anders urteilt über die Schrift Mommsen, Östgotische Studieu II
(Neues Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde XIV S. 519), und damit auch über Justinian und
seine Regierung. Siehe die Literatur der Frage bei Krumbacher, Byzant. Lit.-Gesch. in
J. v. Müllers Handbuch IX 1 S. 235 f.