J. Kohler, Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte. 37
zutage durch die Bindung des Pflichtteilgutes, die in solchen Fällen wirtschaftlicher Gefahr
gestattet ist, so daß der Erbe nicht das Kapitalvermögen in die Hand bekommt, sondern nur die
Früchte, während das Vermögenskapital als unveräußerlich erklärt oder der Verwaltung
eines Dritten überantwortet wird.
Eine Art der Bindung ist die Bindung durch Einsetzung eines Nacherben, indem der erste
Erbe das Erbgut in seinem Kapitalbestand einem zweiten Erben erhalten muß. Dieses Institut
hat, auch abgesehen von dem genannten Zweck, seine bedeutende Berechtigung. Es soll vermeiden,
daß das Vermögen in der ersten Generation sofort wieder verfliegt; und das ist nicht selten zu
befürchten, da die Söhne stark wirtschaftlich angelegter Väter, kraft des Reizes des Widerspruchs,
oftmals den entgegengesetzten Hang in sich tragen. Auf solche Weise kann der Erblasser die
Sicherheit erlangen, daß seine Enkel und Urenkel noch an demjenigen zehren und sich erfreuen,
was er seinerzeit vielleicht mit schwerer Mühe und feiner Spekulation errungen hat.
Indes auch dieses System muß seine Schranken haben, denn es ist gewiß unerträglich,
daß ein Vermögen Jahrhunderte hindurch verfangen bleibt und die Erbordnung sich auf un-
gemessene Zeit hin in der von dem Erblasser bezeichneten festen Reihenfolge entwickeln muß.
Und darum streben die modernen Rechte dahin, eine solche Nacherbeneinsetzung auf gewisse
Zeit oder auf eine gewisse Reihe von Generationen zu beschränken — Beschränkungen, die sich
auch im BGB. und im Schweizer Zivilrecht finden 7.
Mit diesen Nacherbeinsetzungen verwandt sind die Stiftungen; ja, der Islam begreift
unter dem Worte Wakf unbedenklich beides. Bei der Nacherbeinsetzung wird der Vorerbe
Eigentümer, allerdings unter einer auflösenden Bedingung; und wenn er auch das Kapital-
vermögen nicht angreifen darf, so steht ihm die Verwendung der Vermögensfrüchte frei. Das
Ziel der Verfügung kann allerdings sein, die Familie im Wohlstande zu erhalten, die Nach-
kommen gegen Verschwendung zu sichern; allein diese Ziele sind allgemeine Vermögens-
erhaltungsziele und legen das Vermögen nicht nach einer bestimmten Richtung fest. Ganz
anders die Stiftung: der Stiftling ist nicht Eigentümer des Stiftungsvermögens: ihm kommt
nur eine stiftungsgemäße Vermögensrente zu; und wennm die Stiftung nicht zugunsten einzelner
Personen oder Familien, sondern zugunsten von Naturwesen oder zu irgendwelchen sonstigen
Kulturzwecken begründet wird, so ist der Unterschied gegenüber der Vor= und Nacherbeinsetzung noch
viel bedeutender. Das Vermögen ist hier viel stärker gefesselt, denn nicht nur das Kapital, sondern
auch die Zinsen sollen im Sinne des Erblassers verwendet werden. Darum geht unsere ganze
heutige Entwicklung dahin: es sollen Stiftungen nur mit Staatsgenehmigung geschaffen werden
können; und es soll dem Staat unter Umständen das Recht zustehen, der Stiftung eine andere
Verwendung zuzuweisen oder sie ganz aufzuheben; denn um hier vernünftig zu walten, ist nicht
nur eine Einsicht in die Gegenwart, sondern auch eine Voraussicht der Zukunft nötig.
Dies sind die Endpunkte der Entwicklung des Erbrechts, wo es wieder die kollektive Ver-
mögensentwicklung berührt, nachdem es zum Hort des Einzelvermögens geworden sst.
b) Losere Verhältnisse. Schuldrecht.
§ 28. Versprechen als formal und als material bindendes Element .
Wesentlich von den bisherigen Beziehungen verschieden ist das Schuldrecht, das keine
lebenslänglichen oder auch nur übermäßig lang dauernden Verbindungen schafft, sondern mehr
oder minder flüchtige Begegnungen, die angebahnt und wieder getrennt werden, aber wegen
ihrer Zahl, ihrer Mannigfaltigkeit und ihres Einflusses auf das Menschenleben von hervor-
ragender Bedeutung sind.
Dieses Schuldrecht ist ein wesentliches Erzeugnis einzelrechtlicher Entwicklung; Zeiten
kommunistischer Auffassung kennen das Schuldrecht höchstens als Missetatrecht, wo die eine
Familie der anderen für die Vergehungen ihrer Mitglieder aufkommen muß. Innerhalb der
Familie besteht ein Schuldrecht nicht; daß die einzelnen Familienmitglieder sich gegenseitig
1 Einführung in die Rechtswissenschaft S. 114.
* Bgl. hierzu meinen Aufsatz im Archiv für Rechtsphilosophie V S. 307 (nach einem auf
dem Philosophiekongreß in Bologna gehaltenen Vortrag).