Grundzüge des römischen Privatrechts. 407
Diese Entlehnungen sind nichts den römischen Formalakten Eigentümliches, vielmehr
eine ganz universale Erscheinung 1. Auch der formlose Kauf z. B. dient als Kauf auf Wieder-
kauf zur Sicherung, und die den Römern fremdartigen hellenistischen fiktiven Skripturen, z. B.
die objektiv falsche Bestätigung eines Darlehns- oder Mitgiftempfangs, sind gleicherweise Typen,
mit denen man die juristische Wirkung des Musterakts erzielen will. Die Neigung bleibt in der
Kaleekzet überall dieselbe, wenn auch die Rechtsgeschäfte im ganzen bereits freier gebildet
werden.
Ebenso aber bleiben die beurteilenden Juristen geneigt, neue Rechtsgestaltungen zunächst
den alten Kategorien zu unterstellen 2. Wo man durchaus nicht mit den bestehenden Aktionen
auskommt, bildet man ähnliche nach, und erst im Notfall schafft man neue, ganz wie die Doktrin
des 19. Jahrhunderts jeweils um Subsumptionen kämpfte, ehe sie sich entschloß, ein Geschäft
oder Recht „sui generis“ anzuerkennen. Immerhin kommen die Prätoren, solange die Blüte
ihrer Freiheit währt, den auftretenden wichtigeren Bedürfnissen nach, länger noch die Juristen,
die in Zweifelsfällen zahlreiche Aushilfen kennen, z. B. die (seit Julian beliebten) Actiones in
factum, wie Pap. D 19, 5, 1 pr ausdrücklich betont. Die die prätorische Rechtsbildung ab-
lösende kaiserliche Judikatur handhabt das alte Schema der Rechtsbehelfe, mit dem sie noch
in das außerordentliche Verfahren hineingeht, je länger, desto zwangloser.
In alledem zeigt die Entwicklung des römischen Rechts nur, was die Geschichte des
menschlichen Denkens Überall aufweist: die allmähliche Ausnützung der vorhandenen Denkformen
und das Fortschreiten vom Konkreten zum Allgemeinen. Es ist aber von Wichtigkeit, daß die
römischen Juristen uns die älteren Stadien des juristischen Erfassens noch so sehr anschaulich
machen. Dahin gehört es auch z. B., daß die theoretischen Versuche der Zusammenfassung von
Klagen und Klagegründen von wenigen alten Typen auszugehen pflegen. So werden die
Schuldklagen je nach der Entstehung aus Vertrag oder Delikt eingeteilt, und die außervertrag-
lichen von einem Teil der Juristen künstlich untergebracht. Die Verträge ihrerseits werden durch
Kauf, Darlehen und Stipulation repräsentiert, die Delikte durch Diebstahl, Sachbeschädigung,
Raub und Ehrwerletzung"; die Erwerbshandlungen durch mancipatio und stipulatio 5 uff.
Eine wichtige Rolle bei dieser sparsamen Ausnutzung der vorhandenen Mittel spielt so-
wohl in Rom als im griechischen Osten, wie späterhin im ganzen Abendland die Verbreitung
der Formulare und die Zähigkeit, mit der die berufsmäßigen Urkundenverfasser, amtliche Notare
und private Winkelschreiber, an den Blanketten festhalten. Die Nachahmung von Geschäfts-
stilisierungen, unterstützt von Formularienbüchern, hat viele Rezeptionen bewirkt. In den öst-
lichen, die Schrift pflegenden Ländern bildete sich ein griechisch-orientalischer Stil heraus, der
dort den Sieg über lateinische Rechtsgedanken behauptete und selbst im Westen die nach-
haltigsten Einflüsse ausübte.
§s 4. Formalismus“. Die alten römischen Geschäfts-- und Prozeßhandlungen bewahren
aus der Zeit der Mündlichkeit, der sie entstammen, die förmliche lateinische Rede wenigstens
eines Geschäftsteiles. Sie erfordern Einheit der Handlung (unitas actus), und sofern sie Zeugen
brauchen, müssen diese mündig und wohl immer eigens aufgefordert (testes rogati) sein. Par-
teien und Zeugen bei Vermögensgeschäften bedürfen nach der klassischen Regel noch der Fähig-
keit zur Teilnahme am römischen Verkehr (commercium) kraft Nationalität oder Verleihung.
Einige Geschäfte — Stipulation mit Akzeptilation und Cognitoris datio — sind aber den Fremden
schon zugänglich, die Stipulation überhaupt bereits entnationalisiert und auf dem Wege auch
1 Zu den von mir a. a. O. gegebenen Beweisen aus mehreren Rechtskreisen kommen b
sonders drastische neue Parallelen im demotischen Material. "
Die neuesten Erforscher der gemischten Verträge schreiben daher den Römern das „sormale
Absorptionsprinzip“ zu. Höniger, Gem. Vertr. 338; Schreiber, Ih. J. 60, 123 (mit
Hinweis auf Ausnahmen, die sich natürlich vermehren lassen). ·
* Mindestens in der Hauptsache ccht, wie auch Beseler, Beiträge 2, 96 anerkennt.
4 Marchi, Storia e concetto della obbligazione romana 1 (1912), 37.
5 Für den Sklavenerwerb r. Gradenwitz, BSavst. 6, 57. Z
Mitteis, Pl. 5 15. Über die Mündlichkeit F. Leo, Geschichte der römischen Lite-
ratur 1 (1913) 21. Über die Dekadenz der Stipulation Mitteis, Reichsrecht und Bolksrecht
486 f., zurückhaltender PR. 285, vgl. Gdz. 71; Ferrari Atti Ist. Ven. 69. 2 (1909/10) 748.