Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

408 Ernst Rabel. 
zur Entkörperlichung, in der äghptischen Praxis noch während des 3. Jahrhunderts verwildernd. 
Für Erbeinsetzungen und Legate werden von den vorgeschriebenen Worten Ausnahmen zu- 
gestanden, und auch sonst fehlt es nicht an Erleichterungen. 
Noch über den Bereich der altformalen Geschäfte hinaus ist die Ausprägung von Willens- 
erklärungen, auch solchen, denen nur das prätorische Amtsrecht 1, bisweilen sogar das Kaiser- 
recht Wirkungen beilegt, in bestimmten Worten üblich und für den Beweis der Perfektion er- 
heblich, manchmal, wie es scheint, praktisch unentbehrlich. Zur letzten Kategorie gehörten 
einst die für die Geschichte der Konsensualverträge wichtigen Fragen und Antworten: Stichus C 
est mihi emptus?" esto, und noch in der Kaiserzeit das recipio des Gastwirts, Schiffers und 
des Bankiers, das constituo des Anerkennenden, die zumeist ausdrückliche und in bestimmten 
Worten gehaltene Anordnung eines Fideikommisses, die Freilassungserklärung inter amicos. 
Dem „äußeren“ entspricht der „innere“ Formalismus (Mitteis) des alten Rechts, der 
besonders den Geschäften des Familienrechts und des strengen Obligationenrechts bleibt. Das 
formale Geschäft führt ein für allemal eine bestimmte Wirkung herbei, läßt nur die eingeschlossenen 
Klauseln gelten und kann viele Klauseln gar nicht aufnehmen, z. B. meistens weder gewillkürte 
Bedingungen noch Termine. Um so mehr wirkt die gewählte Form ursprünglich unabhängig 
von der gedachten Absicht der Parteien. So muß nach dem künstlichen Ritual der Adoption 
und Emanzipation das Hauskind an einen Vertrauensmann manzipiert werden; es erleidet 
dadurch eine Capitis deminutio, die für Nießbrauch und Tutel, und eine einstweilige sklaven- 
dähnliche Stellung, die für ein darin erzeugtes Kind verderbliche Wirkung hat (Labeo, anders 
schon Gai. 1, 135). 
Aber die Jurisprudenz sucht solche unliebsame Folgen abzubiegen. Sie beachtet immer 
stärker die Kausa der imaginären Geschäfte und läßt sie in das Gefüge des neuen Typus ein- 
dringen. So wird z. B. das Manzipationstestament gänzlich umgebildet, die Sicherungs- 
fiduzia manchen Vorschriften des Pfandrechts unterworfen. Das keiserliche Recht er- 
leichtert die Formen, modernisiert zusehends die alten Institute und schiebt neue passendere 
ein. Unbeabsichtigte Reste der nackten Formwirkung machen sich trotzdem bemerkbar. Die 
Zessionen in der Iniurecessio hereditatis, tutelae und bei der Manumissio vindicta bedeuten 
Verzicht, auch wenn das Geschäft seinen Ubertragungserfolg nicht erreicht; z. B. der freilassende 
Miteigentümer eines Sklaven verliert sein Miteigentum, ohne daß der Sklave frei wird, und 
nur bei dem gleichliegenden? Fall der Zession des nicht übertragbaren Nießbrauchs ist man auf 
Auswege bedacht. Vollends ist die Stipulationslehre, mit der auch noch ein Teil der Lehre 
vom Damnationslegat verbunden ist, mitten im klassischen Recht eine Insel, auf der archaische 
Wortklauberei herrscht. Doch man muß bedenken, daß die Engländer noch heute an dem Gegen- 
satz zwischen Common law und Law of equity tragen, und vor allem, daß Wort-- und Sach- 
strenge für den Großverkehr einen erwünschten Faktor der Rechtssicherheit stellen, die Stipu- 
lation aber ähnliche Funktionen wie unser Wechsel erfüllt. 
Auf den meisten Gebieten schwingen sich die Römer zu einer Höhe der Betrachtung auf, 
die kein anderes Recht des Altertums oder Mittelalters besitzt. Die Toleranz gegen die fremden 
Privatrechte im Kaiserreich, die große Lehre von der Billigkeits, die in den prätorischen Klagen 
auf bonum et aequum und in den Formeln auf quidquid dare facere oportet ex fide bona 
1 Wlassak, ZSavöt. 26, 416 u. Mitteis, PR. 288 reden daher von amtsrechtlichen 
Formen. Dagegen Eisele, Studien z. röm. RG. (1912) 51. 
*A. M. Mitteis, PR. 251 N. 63. Zum übrigen Demelius, Confessio 104; Rabel, 
Z Sav St. 27, 318; Esmein, Mélanges Gérardin 229. 
2 Voigt, Die Lehre vom ius naturale, aequum et bonum 1 (1856). Weitere große Lit. 
bei Kipp, Realenz. „aequitas“ und bei Baviera, Mélanges Girard 1, 83 N. 1. „Huma-- 
nitas“ und „pietas“ werden seit H. Krüger, ZSavt. 19, 9 für regelmäßig kompilatorisch 
betrachtet. Doch sollte dies nicht übertrieben werden; z. B. ist das „humanius“ in der Diskussion 
des Paulus D. 29, 1, 38, 1 über ein von ihm gefälltes Urteil kaum zu beanstanden (anders zuletzt 
Berger, Grünhuts Z. 40, 17 gegen Samter). — Neuestens werden die Römer als sozio- 
logische Rechtsanwender in Anspruch genommen: Kiß, Arch. bürgR. 38, 214—240. Ubrigens 
sehe man Appleton, Mélanges Girard 1, 20 über die römische Auslegung von Formvorschriften; 
danach wären beinahe die Postulate von Danz verwirklicht. — Von der philosophischen Beein- 
flussung neuerdings F. Schneider, LitgentrBl. 1911, 863—5 über Carlyle, A history 
#of medieval political theory in the West (1909).
	        
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