Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

412 Ernst Rabel. 
§#9. Beginn und Ende des Menschen. An verschiedenen Stellen ihrer Lehren zeigen die 
Römer, daß richtig (recte) der Mensch, d. i. ein Wesen menschlicher Gestalt (Paul. S. 4, 9, 3), 
ob Freier oder Sklave, erst mit vollendeter Geburt bestehtt. Die empfangene und noch nicht 
geborene Leibesfrucht ist hiernach kein Rechtssubjekt, und ihre Tötung höchstens Verletzung 
des Vaters oder der Mutter. Aber die Juristen mildern den Grundsatz. So gibt u. a. ein 
Augenblick der Freiheit der Mutter während der Schwangerschaft dem später geborenen Kind 
die Freiheit oder das Recht des von den Feinden Zurückgekehrten. Ferner werden dem Kind 
für den Fall der Lebendgeburt das Patronatsrecht und die Erwerbungen von Todes wegen 
vorbehalten (Paul. D. 5, 4, 3 pr.), während bis zur Geburt ein Pfleger waltet. Die divi 
fratres schützen es gegen Unterdrückung durch die geschiedene Frau (D. 25, 4, 1 pr.). Was also 
Paulus in einem weiteren Spezialfall (D. 1, 5, 7) sagt, daß die Leibesfrucht wie ein wirklicher 
Mensch bewacht werde, sofern es sich um seinen Vorteil handelt, drückt immerhin die allgemeine 
Regel aus, die noch dem BG. zugrunde liegt; das zeigt Paulus selbst durch Gegenüberstellung 
der Regel mit der gesetzlichen, daß zum lus liberorum im Sinne des SC. Tertullianum ein 
Nasziturus nicht genügt (D. 50, 16, 2312). 
Der Beweis des Todes wird nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung beurteilt, 
was zugleich als Ersatz der dem römischen Recht unbekannten Todes- oder Verschollenerklärungen 
angesehen werden darf (vgl. D. 15, 2, 1, 105). Aber wir kennen jetzt aus verschiedenen Gegenden 
des Reiches das zu Steuerzwecken eingerichtete geordnete Wesen der Geburts- und Sterbe- 
register samt Deklarationen und amtlichen Prüfungen", deren Brauchbarkeit auch für Zivil- 
rechtsstreitigkeiten klar ist. 
Die Justinianischen Vermutungen für das Vorversterben von Aszendenten oder Deszen- 
denten beim Tode in gemeinsamer Lebensgefahr kannten die Klassikers nicht. Was in wider- 
sinnigem Anklang an diese Präsumptionen jetzt BGB. F 20 ausdrücken will, war demnach 
selbstverständlich, daß nämlich mangels des Nachweises eines Vortods niemand aus diesem je- 
mals Rechte ableiten kann (D. 34, 5, 16—18). 
§ 10. Haus und Familie. Dunkel und bestritten ist die älteste soziale Ordnung Roms, 
sicher dagegen das geschichtliche Ergebnis in der Blüte der Republik. Die Gesellschaft ist hier 
aufgelöst in Haushalte, die die wahren privatwirtschaftlichen Einheiten bilden; ihre Vorstände 
— die Familienväter — sind die Eigentümer der sämtlichen Sachen und Forderungen 
des Hauses und üben eine unerhört umfassende Gewalt über Ehefrau, Nachkommen, Sklaven- 
und Halbsklavengesinde (servi und personae in mancipio), einen Kreis, an den sich weiter außen 
die Freigelassenen und in gewissem Sinn die Klienten anschließen. Diese Organisation hat 
in der Kaiserzeit noch gleichsam offizielle Geltung. Die potestas der Hausväter wird noch als 
Herrschaftsrecht geltend gemacht, kommt in alten zivilrechtlichen Geschäften und im Erbrecht 
zur Geltung; übrigens ist der musterhafte pater kamilias das Vorbild für das Rechtsleben. 
Vor allem unterscheidet sich der Gewaltunterworfene noch grundsätzlich und bedeutsam vom 
Gewaltfreien. Für Gai. 1, 48 ff. ist dies die Haupteinteilung der Personen nach jener in 
Freie und Sklaven. Freilich aber ist die Organisation selbst, die diese Folgen erzeugt hat, 
gesellschaftlich überlebt. Die Manusehe ist fast verschwunden. Rechtlich ist die einheitliche 
Hausgewalt gespalten in das Eigentum an den Sklaven und die Familiengewalt an den Kindern, 
und beide, zumal die letztere wird inhaltlich immer mehr herabgesetzt. 
Zu den personae alieni juris gehören von alters her die Kinder aus rechter römischer 
Ehe und die Kinder der ebenso verheirateten Söhne; die Jahrhunderte haben diesem Kreis 
  
— 
1 Ulp. (2?) D. 25, 4, 1; Pap. D. 35, 2, 9, 1; C. 6, 29, 3. Nähere Fragen werden nament- 
lich mit Rücksicht auf die posthume Geburt eines noterbberechtigten Kindes erörtert. Dabei 
genügt chirurgische Zwoangsgeburt (Ulp. D. 28, 2, 12 benat ;streitig aber ist, wie noch in der Neu- 
zeit, ob Unversehrtheit (Ulp. D. 28, 2, 12 pr: nein) und Lebensfähigkeit (Diocl. C. 6, 29, 2: nein) 
gefordert sei, namentlich aber ob das Leben sich durch Beschreien der Wände äußern musse, was 
mit den Sabinianern Just. C. 6, 29, 3 verneint. 
* Dagegen mag D. 1, 5, 26 im Eingang von Trib. berührt sein, Perozzi, lst. 1, 135 
en. 3, (hiergegen Fadda 23); wohl auch der Anfang von D. 5, 4, 37 
„ Erman, BSavt. 19, 329; Fadda 36. — D. 23, 2, 10 ist itp., s. Krüger z. d. St. 
* Lit. bei Wilcken, Grundzüge 195 f. und Girard, Textes 911. 
* Ferrini, Riv. ital. 14, 286. Vgl. aber Brini, Rend. Acc. Bologna S. I, 3, 46.
	        
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