414 Ernst Rabel.
wichtige Ansätze zur späteren moderneren Behandlung des Familienrechts geschaffen. Das
Recht der ägyptischen Provinzialen war ohnedies schon sehr viel fortgeschrittener.
Als mustergültig ist die Zählung der Gradesnähe der Agnaten oder Kognaten entsprechend
dem Satz tot gradus quot generationes bis heute anerkannt; etwas unklarer aber im wesent-
lichen doch wie heute war der Begriff der Schwägerschaft (adfinitas) gefaßt, die hauptsächlich
nur als Ehehindermis wirkte.
§ 11. Inhalt der Hausgewalt. Die strenge Ordnung des römischen Hauses wurde in
der Kaiserzeit nicht eigentlich angetastet 1. Aber hatte einst die Sitte der kleinen Stadt die
Willkür der patres familias gebändigt, so mußte schon die spätere Republik auf rechtliche Ein-
dämmung bedacht sein. Jetzt griffen für einige Fälle die heidnischen Kaiser ein, besonders
Trajan, Hadrian und die Severen zugunsten der mißhandelten Hauskinder, nach einer Lex
Petronia Claudius und Ant. Pius zugunsten der Sklaven?; ständig achteten auf Grund ihrer
Anweisungen die kaiserlichen Beamten auf Beschwerden aller Art, wovon wir nur einiges er-
fahren. (Herm. D. 5, 1, 53 Sklaven; Ulp. D. 25, 3, 5 Unterhaltspflicht usw.) Die Bestim-
mung des Vaters über die Ehelichkeit, über Schließung und Trennung der Ehe von Kindem
wurde stark eingeengt. Dagegen scheint die Kindesaussetzung noch unverboten zu seins, und
der Verkauf von Kindern in äußerster Not ist ausdrücklich als erlaubt bezeugt (Paul. S. 5, 1, 1).
Beides hat sich während des schweren Niederganges seit dem Ende des 2. Jahrhunderts gewiß
oft ereignet, trotzdem die Juristen uns den Kindererkauf nur in den künstlichen Geschäften
der Cmanzipation und Adoption und bei der Auslieferung des verbrecherischen Kindes zu zeigen
pflegen. Im Orient kam auch die von den Römern zu Hause mit Deportation bestrafte (Paul.
8. 5, 1, 1) Verpfändung von Kindern seit jeher vor“.
Mit Rücksicht auf jene Einschränkungen stellt sich immerhin die Gewalt über die Deszen-
denten in der Kaiserzeit bereits eher als eine disziplinäre dar, obwohl die ältere Periode des
Herrenrechts in der Terminologie und im Prozeß noch heworscheint; fremd ist auch dieser Zeit
noch eine familienrechtliche Erziehungspflicht. Das Recht über die Sklaven aber wird theo-
retisch und praktisch als Eigentum behandelt, das einigen, obwohl wichtigen gesetzlichen Be-
schränkungen unterliegt. Daß nach der Naturrechtslehre der griechischen Philosophen auch
der Sklave von Natur aus sozusagen ein Mensch ist, macht sich höchstens in unbedeutenden
Sonderrechtssätzen des Partus ancillae bemerkbar, der nicht als Frucht gilt. —
Wirtschaftlich hatte die Einheit des Hauses seit jeher ihren Grund in der Einheit des
ländlichen Gutsbetriebes. In der aufgelösten antiken Verkehrswirtschaft nehmen die ent-
sprechende Stelle die landwirtschaftlichen und gewerblichen Privatunternehmen ein. Sie
werden bei den Römern in aller Regel von freien oder unfreien Gewaltunterworfenen be-
trieben und gehören dem Gewalthaber (peculium). Erwerb durch die ersteren für ihn ist ganz
allgemein im weitesten Umfang — ausgenommen die In jure cessio als alten Gerichtsakt —
zugelassen. Veräußerungen und Verpflichtungen sind durch ein kompliziertes Ineinander-
greifen von volks- und amtsrechtlichen Sätzen geregelt, das Haftungsrecht wie das Sachenrecht
aber unter dem leitenden Gesichtspunkt, daß es nicht bloß die Interessen, sondern die Rechte
und Pflichten des Hausvaters sind, die sich den Dritten gegenüberstellen. So fällt das
privatrechtliche Handeln der Gewaltunterworfenen prinzipiell unter das Handeln für eine fremde
Rechtssphäre.
1 In Agypten wird die patria potestas noch P. Oxy. 1208, 6 (291 n. Chr.) und 1268, 9 (3. Jh.)
erwähnt, aber nicht verstanden.
Vergleichbar dem ptolemäischen Erlaß P. Lille 29, dazu Mitteis, Godz. 277. Faktisch
sind die Persönlichkeit des Sklaven und seine Tannkemerbüng gern berücksichtigt worden, wie
die Inschriften aus den Sklavenfamilien zeigen (hübsche Zusammenstellung bei Costa, Storia
131), rechtlich hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Rechte des Herrn, z. B. Beleidigung durch
Verletzung des Sklaven oder Verführung der Sklavin; Bruch des Versprechens des äufers ne
Serva prostituatur, das sich aber doch bereits gegen den Veräußerer selber wendet. Die be-
deutsamste Ausnahme bilden die Verpflichtungen zur Freilassung, unten § 18 a. E.
* Paul. D. 25, 3, 4 wohl interpoliert, aber Kreitig. Lit. bei Baviera und Decla#-
reuil, beide in Mél. Girard 1, 115; 352.
Lit. bei Weiß, Pfandrechtl. Untersuchungen 1, 29, gegen diesen selbst Partsch, Arch.
Pap.F. 5, 508.