Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

424 Ernst Rabel. 
und Kinder beruhend, wird meist schon zu ihrem Schutz angeordnet; und eine behördliche wird 
seit der lex Atilia von 186 v. Chr. (Atiliana) zufolge der obrigkeitlichen Fürsorge für die Witwen 
und Waisen bestellt. Zu der letzteren gesellt sich die Auffassung, daß die Übernahme der Be- 
stallung eine Bürgerpflicht (munus) ist, das die Behörde erzwingt, vorbehaltlich zu prüfender 
Entschuldigungsgründe (excusatio) 1, und weiter, daß die Mutter, Erben, Freigelassene für 
Vormundslose die Bestellung zu beantragen verpflichtet sind. So entspricht die dritte Art der 
Vormünder am besten der Zeit und hat im Prinzipat durchaus die Führung. Sie drängt die 
agnatische Tutel zurück und beeinflußt den Charakter beider älterer Institute, sie trägt auch in 
sich den Gedanken der Obervormundschaft, denn es liegt nahe, daß eine Behörde, die den Vor- 
mund auswählt, ihn auch beaufsichtigt. Indessen braucht diese Entwicklung lange, bis tief in 
die byzantinische Zeit hinein. Wir begegnen noch bei den Spätklassikern nicht nur jenen drei 
Arten, sondern Uberbleibseln früherer und späterer Zwischenstufen (vgl. 8 73). Von den be- 
vormundeten Personen gilt folgendes. 
1. Frauen. Die Spätklassiker finden die gesetzliche Agnatentutel nicht mehr vor. 
Die testamentarisch durch den Mann bestellte, die Gai. 1, 150 ff. noch gewissenhaft vorträgt, 
ist mit der Manusehe erledigt. Dafern also die Frau nicht überhaupt vermöge des Kinderrechts 
nach den Ehegesetzen von Vogtschaft befreit ist, so bleibt nur die gesetzliche Vormundschaft des 
Freilassers und seiner Deszendenten über Freigelassene und Emanzipierte, die testamentarisch 
durch den Vater oder Großvater bestellte und die magistratisch angeordnete Frauenvormundschaft. 
Aber mit Ausnahme der ersterwähnten Gewaltreste (Gai. 1, 192) läuft alles auf bloße Förmlich- 
keiten hinaus, so sehr, daß man den früher auf dem Laufenden gehaltenen, jetzt veralteten 
Katalog der Rechtshandlungen, zu denen die Frau das Mithandeln des Vormunds brauchts, 
nicht mehr revidiert hat. Eine Geschäftsführung obliegt ihm ohnedies nicht (Ulp. 11, 25). 
2. Unmündig (impubes) ist der Geschlechtsunreife. Die Reife der Knaben wird durch 
Feierlichkeiten begangen, in der Kaiserzeit meist im 15. oder 16. Lebensjahre 3. Auf das voll- 
endete 14. Jahr wird gelegentlich in Gesetzen abgestellt (zuerst in der Lex Col. Genetivae c. 98). 
Es ist aber bis auf Justinian bestritten, ob die individuelle Reife oder 14 Jahre oder beides 
erforderlich sei (Gai. 1, 196; Ulp. 11, 28)/. Erträglich ist diese anscheinend seltsame Unsicher- 
heit wohl dadurch, daß nach der Anlegung der toga virilis kein Zweifel praktisch war. 
Mädchen sind mit 12 Jahren ehefähig (Just. C. 5, 60, 3). Weiter beschäftigt man sich mit 
ihnen wegen der Geschlechtsvormundschaft nicht. 
Das Grundprinzip ist nun für alle Unmündigen, daß sie familienrechtlicher Akte schlecht- 
weg unfähig sind, wozu Ehe und Adoption und aus historischen Gründen auch Testaments- 
errichtung gehören, im Vermögensrecht aber nicht handlungsunfähig sind. Vielmehr bedarf 
nur einerseits ihr verpflichtendes und belastendes rechtsgeschäftliches Handeln der Ergänzung 
durch einen Vormund, andererseits hat der Vormund von jeher ein Recht zur Nutzung am 
Vermögen des pupillus und nun auch die Pflicht zur Verwaltung. Das Verhältnis zum 
Vormund gehört ganz in das Vermögensrecht; denn eine Obsorge über die Person ist nicht 
Sache des römischen Tutor. 
Innerhalb des Unmündigkeitsalters wird das Stadium der infantia unterschieden, aber 
dieses ist noch nicht auf die ersten sieben Lebensjahre festgelegt5 und seine ursprüngliche Be- 
deutung scheint noch ziemlich stark durch: wer nicht sprechen kann (qui fari non potest), vermag 
sich nicht der altzivilen mündlichen Geschäfte zu bedienen, der Stumme so wenig wie der 
  
1 ¼Über die starken Interpolationen Albertario, Lo sviluppo delle excusationes nella 
tutela e nella cura dei minori (1912). De Francisci, Se6s| romanistici 1 (Pavia 1913) 
31. — Dagegen darf der testamentarische Vormund ablehnen; diese Abdicatio ist jetzt bezeugt 
durch P. BG. 1113 -— Mitteis, Chrest. 2, n. 169. 
: Ulp. 11, 27; Pap. u. Paul., Vat. 45. 259. Lit. bei Peters, 8Savöt. 32, 240. Anders 
die ägyptische Praxis. Lit. bei Mitteis, Gdz. 248; dazu Taubenschlag, Vormund- 
schaftsrechtliche Studien (1913) 69—86. 
* Marquardt, Das Privatleben der RKömer 1°, 127; Blümner, Die röm. Privat- 
altertümer 335. 
*Vermutungen über Näheres: Collinet, Nouv. rev. 1900, 366. Vgl. oben S. 417 N. 2. 
*s Pernice, Labeo 1, 214. Ulp. D. 26, 7, 1, 2; Mod. D. 23, 1, 14 sind interpoliert, vgl. 
auch Girard, Mannel 201.
	        
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