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fast alle gar nicht Sachen im Rechtssinn; die Einheitssachen, zusammengesetzten Sachen und
Sachgesamtheiten; die körperlichen Sachen und nicht körperlichen, d. h. Rechte, von denen
u. a. gilt, daß sie nicht die Tradition vertragen (Gai. 2, 28); die individuell bestimmten (species,
corpus certum) und nach Gattungsmerkmalen bezeichneten (genus). Was die Juristen so
nach dem Maßstabe ihrer Allgemeinbildung auszudrücken bestrebt waren, stand längst fest.
Als oberste Einteilung betrachtet Gai. 2, 1 mit Recht die in res in nostro patrimonio
und extra nostrum patrimonium, wenngleich die nähere Ausführung nicht sehr logisch aus-
fällt 1l. Die den Göttern formell geweihten Grundstücke und Kultgeräte (res sacrae et
religiosae), ursprünglich auch die Mauern und Tore, sind als im Eigentum der Gottheit stehend
dem Privateigentum glattweg unzugänglich und können daher auch nicht den Gegenstand einer
gültigen Stipulation oder eines Kaufvertrags bilden. Viel weniger unzweideutig ist die
Stellung der meisten heute sog. „res nullius humani juris“. Wenn die Gemeinrechtler an-
läßlich des Baseler Festungsstreites (1859) über Eigentum oder Hoheitsrecht des Staates an
den öffentlichen Sachen streiten mußten, so lag die Unklarheit an den Zwitterzuständen, mit
denen die klassischen Quellen arbeiten. Von den mit förmlichem Akt der Publicatio dem Gemein-
gebrauch gewidmeten Straßen und Plätzen, Theatern und Stadien ist sicher, daß sie dem
Populus Romanus richtig gehören (Gai. 2, 11), aber es sind doch Sonderrechte daran kon-
zessioniert:2, und diese sowie der jedem Bürger zustehende Gemeingebrauch sind durch viele
Interdikte geregelt und geschützt. Die Landwege, Flüsse und Häfen werden je nach Gewohn-
heit 3s ähnlich behandelt, wobei das Flußufer mit zum Gemeingebrauch dient (Gai. D. 1, 8, 5),
aber sobald das Wasser Inseln freiläßt oder abfließt, zeigt sich nach klassischer Ansicht bei den
an nicht abgemarkte Ländereien (agri arcifinü) angrenzenden Flüssen ein Privateigentum der
Uferanlieger am Flußbett"“, bei den Agri limitati neuerdings ein Aneignungsrecht des ersten
Okkupanten (Ulp. D. 43, 12, 1, 6). Meer und Meeresküste werden in der doktrinären Auf-
zählung des späten Marcian (D. 1, 8, 2, 1) unter die von Natur freien Sachen gerechnet; aber
das Fischen und das Bauen werden nur je nach Brauch erlaubt 5 und an dem Bau wird ein
Privatrecht erworben, solange er steht. Wenn Neratius D. 41, 1, 14 pr. Meer und Küste für
völlig frei okkupierbare herrenlose Sachen erklärt, umgekehrt Celsus D. 43, 8, 3 pr. § 1 für
die Küste das Staatshoheitsrecht (imperium) zum Staatseigentum steigern moöchte, so ist die
moderne Meinungsverschiedenheit schon durchaus vorbereitet.
Die den Deutschen grundlegende Unterscheidung der beweglichen und unbeweglichen
Sachen scheint von den Klassikern bezeichnenderweise gar nicht theoretisch formuliert zu sein s.
Zwar hatte das alte Recht die Ersitzung, die Interdikte und Sewituten an Grundstücken besonders
ausgebildet und das Furtum auf bewegliche Sachen beschränkt, in der provinziellen Praxis
entstand die Longi temporis praescriptio an Grundstücken. Im kaiserlichen Rom begegnen
aber nur gelegentlich neue Besonderheiten wie die Veräußerungsverbote für Grundstücke.
Die prätorischen Institute, besonders das in bonis esse (§F 45) und sogar das Pfandrecht gelten
für alle Sachen gleichmäßig, trotzdem doch in der praktischen Anwendung Mobiliarhypotheken
und Immobiliarfaustpfänder Seltenheiten sind 7.
Im übrigen durfte die Folgezeit aus den begrifflichen Bemühungen der Römer die Kate-
gorien der verbrauchbaren Sachen (res quae usu non consumuntur als Gegenstände des
1 Pernice, Die sog. Res communes omnium, Berl. Festg. f. Dernburg, 1900;Bon-
sante, Ist. 221 N. 2. Wappaeus, Zur Lehre von den dem Rechtsverkehr entzogenen
Sachen, 1867; Eisele, Über das Rechtsverhältnis der res publicae 1873; Ubbelohde-
Glück Buch 43, 44, T. 4; Manenti, Concetto della communio 1894; L ssig, Römisches
Wasserrecht 1898; über res religiosae Fadda, Studi e questioni (1910 # 1899) 1, 147.
2 Z. B. Bruns, Fontes 7' n. 144, 188.2 näheres Mommsen, Jur. Schrift. 3, 101.
2 Vgl. Lex Jul. Genet. und die Gromatiter, Mommsen, Jur. Schr. 1, 255.
* Hierzu von verschiedenen Gesichtspunkten Riccobono in Studi Schupfer Bd. 1;
Herzen, Nouv. rev. 1905, 461; Brugi, lLe dottrine giuridiche degli agrimensori romani
(1897) 397; Buonamici, Riv. ital. 52, 1.
5 Fischen nach Pachtung: Inschr. von Leeuwarden (B8runs, Fontes 7 n. 169); Ulp. D. 47,
10, 13, 7. Bauen mit Dekret des Prätors: Pomp. D. 41, 1, 50. Zur Meeresküste: Momm-
sen, Bull. 2, 130; Fampaloni, Bull. 4, 197; Ferrini, Pand. 263.
* Bonfante, Ist. 232 u. Zit.
7 Manigk, in Realenz., hypotheca (SA. p. 1).