Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

436 Ernst Rabel. 
Deiien kassische Lehre vom Besig beabsichtigt schon eine leidliche Zusammenfassung, wie 
am besten der in die Ediktskommentare vor Ulpian eingeschaltete Exkurs de possessione et usu- 
capione zeigt (Lenel, Ed. 24), woneben aber die Kommentare zu den Interdikten laufen; 
einer durchgreifenden Einheitlichkeit versagt sich noch die Grundverschiedenheit der einzelnen 
Bedeutungen des Besitzes. Diese treten neuerdings besser hervor, indem die gemeinrechtliche 
Unterscheidung von „juristischem“, d. h. interdiktenmäßig geschütztem Besitz und „Detention“ 
als unzureichend erkannt wird 1. Vielmehr sind dreierlei Begriffe wichtig: 1. Possessio natu- 
ralis, detinere u. dgl. wird das reine Inhaben genannt, also das isolierte Haben der besitzun- 
fähigen Sklaven und Hauskinder, der keinen Besitz genießenden Inhaber in fremdem Namen, 
und ebenso das physische Element jedes Besitzes, das von Savigny sogenannte „Corpus“, die 
tatsächliche Gewalt. 2. Unter bestimmten Voraussetzungen, zu denen ein Besitzwille gehört, 
wird diese Inhabung vom Prätor mit Interdikten bekleidet, ohne daß er nach dem Rechte fragt 
(sog. „Possessio ad interdicta“). 3. Endlich bildet das Innehaben im Verein mit anderen 
Voraussetzungen, zu denen regelmäßig nicht bloß der Besitzwille, sondern auch ein gerechter 
Grund (justa causa, 3 39) zählen, den Tatbestand des volksrechtlichen Eigentumserwerbs durch 
Tradition von res nec mancipi, durch Okkupation, durch Ersitzung und eben deshalb auch der 
prätorischen Rechtslage des in Ersitzung begriffenen Erwerbers. Diese dritte Kategorie nennt 
Jul. D. 41, 5, 2, 1 ein jure civili possidere und stellt Ulp. D. 45, 1, 38, 7 der Possessio naturalis 
des Sklaven entgegen. Die Possessio naturalis ist eine Tatsache, die anderen beiden wegen des 
Erfordermisses eines juristisch erheblichen Willens zum Teil res juris 2. Dies ist aber keine 
Antwort auf die moderne Frage, ob der Besitz eine Rechtslage oder ein Recht sei. Die Römer 
sind solchen Fragestellungen um so ferner, da die ältere Possessio = berechtigtes Haben noch 
am provinziellen Privatland, am Ager vectigalis in Italien und an den vererbpachteten 
Domänen in Afrika zutage tritt. 
Wir müssen uns demnach hüten, wo „possessio“ schlechtweg erscheint, dem Worte einen 
ein für allemal feststehenden Sinn zuzumuten; die rechtlichen Vorteile jeder einzelnen Besitz- 
kategorie waren eigens festzustellen. Am klarsten und sichersten erschien allezeit die Stellung 
des vollkommensten Besitzers, desjenigen, der die Sache in Wirklichkeit beeherrscht, wie ein 
Eigentümer sie beherrschen darf. Dieser „Eigenbesitz"“ (BG#. 5 872), das „tatsächliche 
Abbild des Eigentums“ (Ihering), kann nur mit demselben Aufgebot eines Willens erobert 
werden (sog. Animus sibi habendi) wie das Eigentum selbst und dient nur eigentumsfähigen 
Personen an den im Verkehr stehenden Sachen. Es ist der Musterfall der Possessio im Zivil- 
recht und im Interdiktenrecht (interdicta de vi und uti possidetis bei Grundstücken, utrubi 
bei beweglichen Sachen, de precario). Etwas ganz anderes ist es schon, wenn dem Faust- 
pfandgläubiger Possessio zuerkannt wird, aus einer Zeit her, wo es noch kein dingliches 
Pfandrecht gab; diese erstreckt sich durchaus nicht auf alle denkbaren Folgen des Besitzes (val. 
Mac. D. 2, 8, 15, 2, Paul. D. 41, 2, 1, 15), insbesondere läuft die Ersitzung weiter für den 
Verpfänder; doch ist gegen den creditor ad exhibendum zu klagen (Jav. D. 41, 3, 16, s. aber 
Ulp. D. 10, 4, 3, 15). Ein noch geringeres possicere wird dem Verwahrer streitiger 
Sachen zugeschrieben 3, nur damit er sich eben im Sinn des Segquestrationsvertrags wehren 
kann. Ebenso dem Prekaristen, d. i. demjenigen, der eine fremde Sache rechtlich auf 
Widerruf (Bittleihe) praktisch mit Dauerabsicht hat, z. B.“ dem Käufer, der die Sache bis zur 
Preiszahlung einstweilen erhielt (Ulp. D. 43, 26, 20) oder dem Verpfänder oder Fiduzianten, 
der die Sache auf Bittleihe zurückempfing 5. 
1 Riccobeno, 8 Sav t. 31, 321; Bull. 23, 1. Wichtig schon Bonfante, Biw. ital. 
16 (1893) 161; Teoria del possesso 1906; Ist. 113. Albertario in Filangieri 19i2, f. 5—8. 
Das folgende' weibt aber z. T. von allen diesen Ansichten ab. 
* Pap 6, 19; 41, 2, 49, 1; Ulp. D. 41, 2, 29; vgl. C. 7, 32, 10. Albertario 
a. a. O. und Vonn x 62, 6—22. 
2 Jul. D. 41, 2, 39, et boc — approbatum itp., Bonfante, Ist. 335, 2. 
4 „ Kielleicht vor allem dem vom Grundbesitzer angesiedelten Arbeiter, Dernburg, Pand. 
5 173 
nt D. 43, 26, 6, 1n r*d — possit offenbar Gloss. Im übrigen s. Riüccobono, 
Bull. 23, 13 zu Jul. b , 7,
	        
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