Grundzüge des römischen Privatrechts. 447
boden. Ihr Grundgedanke mußte aber angepaßte Formeln heworrufen 1. Der Prätor schützt
auch mehr oder weniger analog, wem er selbst das volle Sachenrecht gewähren möchte: den
von ihm in eine Erbschaft Eingewiesenen und den Ersteher einer Konkursmasse, den Erwerber
aus richterlicher Zuteilung, endgültiger Einweisung wegen damnum inkectum u. a.
#§ 46. Miteigentum . Das Eigentum als das volle Recht an der Sache kann nicht
zweien zugleich zustehen (Cels. = Ulp. D. 13, 6, 5, 15). Möglich ist aber eine Teilung der
Herrschaft. Fragt man seit langem, wie sie zu denken sei: etwa als Teilung des Rechts oder
als Teilung der Sache nach Atomen oder wie sonst, so hat darauf schon der größte republikanische
Jurist O. Mucius Scaevola (D. 50, 16, 25, 1) die weitaus brauchbarste Antwort gegeben: partis
Appellatione rem pro indiviso significari, d. h. die Teilung erfaßt nur die Sache, und diese nicht
körperlich, sonderm bloß gedachterweise. Das blieb römische Ansicht. Jeder Miteigentümer
hat wahres Eigentum, also kann z. B. keiner eine Sewitut an der Sache haben (Paul. D. 8, 2, 26);
er hat Eigentum an der ganzen Sache (totius coxporis); jedoch pro indiviso pro parte (D. 13,
6, 5, 15), ut intellectu magis partes habeant quam corpore (Ulp. D. 45, 3, 5). Ist dies
auch für uns vorbildlich, so ist mehr besondere römische Konstruktion, daß die Teile sich durch
das Zusammentreffen der Mehreren bilden, „partes concumu fiunt" (vcl. Ulp. D. 39, 2, 15, 18),
woraus sich ohne weiteres ergibt, daß ein erledigter Anteil den Genossen anwächst 7.
Von einer Herrschaft der Mehrheit weiß der Römer hier nichts. Vielmehr stehen die
Miteigner grundsätzlich voneinander unabhängig, soweit die Sache betroffen wird, dürfen sie
nur alle zusammen handeln. Daher kann rechtsgeschäftlich jeder über seinen Anteil verfügen,
die rechtlichen Schicksale der ganzen Sache können nur alle gemeinsam bestimmen #. Tat-
sächlich genießen und auf die Sache einwirken mit Erhaltungsmaßregeln, Umgestaltung oder
wie immer — bloß die Reparatur von Gebäuden positivrechtlich ausgenommen — darf der
einzelne nur wenn kein anderer es verbietet, jeder hat das Jus prohibendi (Sab.-Pap. D. 10,
3, 28; Marcell. D. 8, 5, 11; Pomp. D. 8, 2, 27). Dies dürfte sogar dahin zu verstehen sein,
daß auch ohne Widerspruch oder gar Hinderung das eigenmächtige Handeln verpönt ist 5. Da
solcherart ein Mangel an Eintracht das gesunde Fortleben der Gemeinschaft unmöglich macht,
sind die Juristen bestrebt, jederzeit die Auflösung bereit zu halten. Selbst eine Abmachung
der Unteilbarkeit nur für eine bestimmte Frist wirkt nicht dinglich. Auch dient die Teilungsklage
(actio communi dividundo), womit die Genossen ihre Einnahmen, Aufwendungen und Pflicht-
versäumnisse gegenseitig allgemein vergleichen können, eben erst zur endgültigen Auseinander-
setzung Ö. Justinian hat dies alles geändert. Ihm steht der soziale Zweck der Gemeinschaft
so hoch, daß er ihr fortdauerndes Funktionieren durch zahlreiche Mittel durchzuführen bemüht
ist. Er gibt auch den Gemeinschaftern viele Klagen gegeneinander und gegen Dritte, von denen
derzeit schwer festzustellen ist, wie viele die Klassiker kannten 7.
1 Paul. D. 6, 2, 12, 2. Vgl. Rabel, Mél. Girard 2, 406 N. 2.
* Steinlechner, Das Wesen der Communio etc. 1876/8; Eisele, ArchzZiv Prax.
63, 27; Segrsé, Riv. ital. 6, 353; 8, 145, 329; v. Seeler, Die L. v. Miteigentum 1896; jetzt
aber bes. die unten ang. Lit.
Dies ist freilich nur für Freilassung eines Sklaven durch einen Miteigentümer bezeugt,
Dos. fr. 10; Ulp. 1, 18; Paul. 4, 12, 1. Bonfante, Rend. Ist. Lomb. 46, 831; Ricco--
bono, Communio e comproprietä in Essays in legal history, Oxf. 1913, 53.
C. 5, 12, 16; D. 50, 17, 26. — D. 8, 1, 2; 8, 3, 11; 19; 28; 8, 4, 18; 21, 2, 10; 39,
3, 10 pr. D. 11, 7, 41; 39, 1, 18 u. 5, 6; 10, 3, 6, 7.
* So mit Grund berozzi. Istit. 1, 471 u. Mél. Girard 2, 371; Ricoobono a. a. O.
- Fadda, Studi Brugi 142; Bonfante, Rend. Ist. Lomb. 46, 665 u. Bull. 25, 196;
acchioni, Riv. dir. commerc. X 1, 1030. — Die Hausreparatur steht unter Sonderrecht,
Oratio D. Marci D. 17, 2, 52, 10; C. 8, 10, 4 (teilw. itp. Riccobono 86 N. 5), zu den
Häusererhaltungsgesetzen gehörig (das. 46). Fur die gemeinsame Mauer eigene Regreßklage
Paul. S. 5, 10, 2 (von Riccobono 87 nicht wirksam verdächtigt), Bonfante, BRend. 684.
" Schrittweise erkannt von Pernice, ZSavöt. 19, 173; Berger, Zur Entwicklungs-
geschichte der Teilungsklagen (1912) 221; Riccobono, Essays 77.
7 Verschieden neuestens Bonfante, Bull. 25, 206; Riccobono 56. Zweifelhaft
ist ferner, wem außer Eigentümern die Teilungsklagen zustehen. zu alledem noch Arangio--
Ruiz, Appunti sui giudizi divisori Roma 1912; Biondi, La leggitimazione processuale
nelle azioni divisorie romane (Ann. Univ. Perugia) 1913; Albertario, Lo svolgimento
storico dell’' actio comm. div. in rapporto alla leggitimazione processuale, Pavia 1913.