Grundzüge des römischen Privatrechts. 453
als der zwischen Erbpacht und Zeitpacht, welch letztere sich oft zur Erbpacht ausgewachsen hat
— wohl nur aus der späteren und geringeren Verbreitung erklären und aus den noch heute
nicht überwundenen Schwierigkeiten, wie das Bodenrecht entgegen der Maxime superkicies
solo cedit verselbständigt werden kann. Auch erwies sich noch die verwollkommnete Superfizies
Justinians im Abendland als nicht lebensfähig.
III. Obligationenrecht.
§ 56. Obligation ?. Wie das deutsche Recht (Gierke oben 265) und andere alte Rechte
ist auch das römische von den Grundbegriffen der Schuld und der Haftung ausgegangen. Zwar
bleibt das besondere Verhältnis, in dem sie zu den altrömischen Instituten, zumal nexum und
sponsio standen zurzeit noch sehr zweifelhaft. Auch wissen wir nicht, ob „debitum jemals
dieselbe Denkform darstellte, wie in den deutschen Quellen „Schuld“. Doch sind nectere und
später obligare deutliche Ausdrücke für die Haftung einer Person oder einer Sache (res obli-
gatur), solvere liberare für die Lösung solcher Haftung: me à te solvo liberoque sagt die alte
Formel Gai. 3, 174. Jedenfalls tritt uns auch bei den Römemn die gedankliche Trennung zwischen
dem Leistensollen (Schuld) und der Genugtuung für Nichtleisten (Haftung) entgegen. So ent-
sprechen nach allgemeiner Ansicht z. B. die dem Staat gestellten Bürgen (praedes) und Pfänder
(praedia subsignata) der universalgeschichtlichen Figur von Personen und Sachen, die der Zu-
griffsmacht des Berechtigten unterworfen werden, während der Schuldner ihr nicht unter-
liegt. Die gleiche reine Personenhaftung scheint den vas und vindex genannten Bürgen, die
gleiche reine Sachhaftung der ficucia und dem pignus gemäß zu sein. Noch die Pfandverträge
des 2. Jahrhunderts weisen Spuren davon auf; sämtliche römischen Sicherungen einer For-
derung dürften einem „Obligationenrecht“ im weiteren Sinn zuzurechnen sein.
Von den geschichtlichen Wegen, auf denen die Haftung des Schuldners sich einführte,
wie z. B. der Selbstbürgschaft, haben wir hier nicht zu sprechen. Aber noch das klassische Recht
der Schuldverhältnisse steht den archaischen Anfängen bei weitem näher als das justinianische
und heutige Recht, weil dort der staatliche Zwang dem Gläubiger grundsätzlich gar nicht das
verschafft, worauf die Schuld gerichtet ist. Vielmehr verwandelt sich die ursprüngliche Forderung
schon im Zeitpunkt der Prozeßbegründung, indem sie durch den Litiskontestationsvertrag er-
lischt oder prätorisch als unwirksam behandelt wird und einem neuen Anspruch aus der Litis-
kontestation Platz macht (Gai. 3, 180). Sodann lautet das Urteil stets auf Geld, und endlich
verwirklicht die Zwangsvollstreckung noch immer prinzipiell die Personenhaftung im strengen
Sinn, die Haftung der Person mit dem Leibe, wenn auch nicht mehr mit dem Leben. Praktisch
ist ja die Verstrickung längst schon wichtiger, insofern sie das Vermögen des Hafters erfaßt. Aber
die Ausdrucksweise selbst noch der justinianisch bearbeiteten Quellen ist so sehr von der Auf-
fassung des Obligierens als des obstringere alium durchsetzt, daß wir in ihrem Bann bis in die
allerletzten Jahre den wesentlichen Zusammenhang der Schuldpflicht mit dem Vermögen des
Schuldners gering geachtet haben. Im übrigen hat die römische Jurisprudenz gerade vermöge
der ständigen prozessualen Betrachtung des staatlichen Rechtszwangs verstanden, die Gründe
der Haftung tiefer zu erforschen, den älteren vagen Unrechtsgedanken zu spalten und den vom
Delikt geschiedenen Vertrag herauszuarbeiten; ebenso den Inhalt der Schuld zu analysieren,
deren Einheit in den Stadien vor und nach der Litiskontestation und u. U. sogar nach dem
Urteil zu erörtern und möglichst herzustellen und so den Begriff der Leistung zu entdecken;
1 Zur Lit. Windscheid-Kipp 3 250 noch bes.: Creszenzio-Ferrini, Erncicl.
giurid. ital., Obbligazioni (1900). Zum speziellen Vortragsrecht wertvoll v. Schey, Die
Obligationsverhältnisse des öst. allg. Privatrechts 1 (1890—1907).
2 Perozzi, Le obbligazioni romane, prolusione Bol. 1903. (Gegen diese geistvolle,
aber anfechtbare Schrift Pacchioni in seiner üÜbers.: Savigny, Le obbligazioni 1 (19121
642—666). Marchi, Storia e concetto della Obbligazione romana, Roma 1911.
2 Brinz, Pand. II, 1; Bekker, Aktionen 1, 7; Ih. J. 49, 51; Pbacchioni, St.
Schupfer 1, 203; in Savigny, Le Obbl. 487 Marchi, a. a. O.; Binder, Rechtsnorm
und Rechtspflicht (1912); Cornil, Mél. Girard (1912) 1, 199. Ferner unten zu #§ 64. Lit.
zu anderen Rechten bei Schreiber, Schuld und Haftung 1 (1914) 4.