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und indem sie damit die materielle Grundlage fand, vereinigte sie auf ihr Schuld und
Haftung zu einer höheren Einheit, die in ihrer Einfachheit und Vollendung alle Folgezeit
besiegte.
Danach ist die Obligation das Verhältnis zweier Personen, kraft dessen der eine (debitor)
dem andern (ereditor) unter der Folge der eigenen Haftung etwas zu leisten hat; die Leistung
wird im Anschluß an die Schriftformeln als dare, facere oder praestare beschrieben. Die Haftungs-
ausdrücke: nectere, obligare, adstringere, juris vinculum, contractus, ebenso die auf die Lösung
der Verstrickung bezüglichen: solvere, liberare uff. betreffen nun zugleich die Schuld. Dies ist
auch der Sinn der Definitionen unsicheren Alters J. 3, 13, 1 (Florent?); Paul? D. 44, 7, 3 pr.
Auf dare oder dare facere oportere schlechtweg sind aber nur Zivilklagen gestellt, und
die berührten Vorstellungen beziehen sich denn auch nur auf das nach ius civile hergestellte und
demnach von Rechts wegen (Gai. 4, 112) durch actio in personam geschützte Schuldverhältnis 1.
Doch ergibt das reiche Netz der von den Prätoren geschaffenen Schriftformeln analoge Schuld-
verhältnisse (actione teneri), wie die Juristen wohl erkennen 2.
Ansätze zu allgemeineren Theorien finden sich dennoch fast nur rücksichtlich der Klagen,
nicht der Forderungsrechte; auch die Einteilungen gelten nicht sowohl, wie unter Justinian,
den Obligationen, sondern den Aktionen (§ 58).
Wirklich spaltet sich durch die Art der Klageformeln das römische Schuldrecht geradezu
in getrennte Teile. Von besonderer dogmatischer Kraft und geschichtlicher Nachwirkung sind
dabei die iudicia, deren Intentio auf qguidquid Num Num Ao Ao dare facere oportet ex fide
bona geht, d. h. den Richter anweist, das Schuldverhältnis mit Berücksichtigung von Treu und
Glauben zu beurteilen. Eine gewaltige Kluft trennt sie von den Aktionen aus Darlehen, Stipu-
lation, Damnationslegat, dem Gebiete des nachmals sogenannten strengen Rechts. Das „bonae
fidei-Recht“ bedarf daher stets besonderer Rückssicht.
§ 57. Schuld ohne Aktio „. Schuldpflichten ohne vollständige normale Haftung des
Schuldners erkennt man seit Julian (D. 46, 1, 16, 4 Ulp. 44, 7, 10) klar in den des Rechts-
zwangs beraubten Tatbeständen, die doch einzelne Wirkungen der Obligationen ausüben. Wer
das leistet, was er so schuldet, kann es niemals als nichtgeschuldet (indebitum) zurückfordern,
und wer es im Bewußtsein der fehlenden Klagbarkeit tat, hat nicht geschenkt. Einzelne dieser
halben Verbindlichkeiten sind taugliche Grundlagen von Pfand- und Bürgenbestellung, Kon-
stitut und Novation. Sicher klassisch sind darunter die Schulden von zivilrechtlich verpflichtungs-
unfähigen und nachträglich unfähig gewordenen Leuten: des Sklaven (Jul. D. 46, 1, 16, 4 u. ö.)
der durch Hausgewalt verbundenen Freien untereinander (Afr. D. 12, 6, 38), des capite mi-
nutus (Ulp. D. 4, 5, 2, 2), nach späterer klassischer Lehre des Unmündigen ohne Vormunds-
genehmigung (Jul.-Pomp. D. 12, 2, 42 u. a.). Justinian liebt diese Kategorie viel öfter und
allgemeiner anzuwenden. Von ihm haben wir die fragwürdige Figur einer Naturalobligation
übernommen, die zwischen bloß gesellschaftlicher und juristischer Verbindlichkeit schillert. Die
Klassiker selber meinen mit dem Ausdruck naturalis obligatio nur irgendwelche Haftung, auch
eine vollkommene mit actio ausgerüstete ohne positivrechtlichen Anhalt, und verwenden diese
Figur bisweilen als reines Konstruktionsmittel (z. B. Paul. D. 36, 1, 61 pr. lin. 28, insofern
wohl echt).
1Lenel, Ed. 260; Wlassalt in Realenz., Actio 1, 306. — Arangio Ruiz, Formule
con demonstratio (1912) 24, 31; Le Genti e la hitta (1914) 37. — Das dare oportere ist weder
Schuld im Sinne von Brinz (so Binder 43) = zum Verfall gekommene Haftung, noch
Schuld im deutschrechtlichen Sinn.
1 Ulp. D. 13, 5, 1, 8; 46, 1, 8, 2. Zur Entwicklung der „actio" selbst Wlassak, Pro-
bebgesetz 1, 82; 2,. 366, 12.
Sch waner t, Die Naturalobligation des röm. Rechts (1861); Pernice, labeo 3,
1, 253: Bonfante:. Foro ltaliano 18, 3 (1893); Gradenwitz in Königsberger Festgabe
für Schirmer (1900); Di Marzo, Circolo Giuridico 32 (1901); Brini, Mem. Acc. Bologna
sez. giur. 1, 199; Pberoz zi, Istit. 2, #127; Bonfante, Riv. dir. comm. 12, 2 (1914) 358.
Stellen mit naturalis obligatio u. ä. bei Kotondi, Bull. 24, 50 N. 5. Darüber, daß ex pacto
keine Nakuralobligation entsteht, s. gegen Hellmann, ZöSavt. 13, 321 und Ferrini,
Pand. 546: Girard, Manuel 642 N. 1.