Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

Grundzüge des römischen Privatrechts. 479 
hat dieser Gedanke nicht geherrscht, eine brauchbare, ja tiefsinnige Maxime aber zweifellos ab- 
gegeben . 
Die Kompilation kennt als besondere Grade zwischen Dolus und Culpa das grobe Ver- 
schulden (culpa lata) und die Verletzung der Sorgfalt, die der Schuldner in eigenen Angelegen- 
heiten zu beobachten pflegt (sog. „culpa in concreto“). Von der ersteren ist aber erst seit der 
severischen Jurisprudenz und außerhalb der Verträge ein beschränkter Gebrauch gemacht worden, 
die letztere ist sicherlich nachklassischen Ursprungs 2. Umgekehrt hält eine neuerdings verbreitete 
Ansicht für einen von Justinian beseitigten klassischen Maßstab der Haftung die custodia 2. Es 
stehe der Leiher, Verkäufer, Werkunternehmer, der eigennützige Inspektor, der sich anbietende 
Verwahrer, der Faustpfandgläubiger und vielleicht noch der eine oder andere Vertragsschuldner 
über sein Verschulden hinaus für denjenigen Zufall ein, den er durch Bewachung der Sache 
hätte abwenden können. Hieran ist sicher, daß der bestohlene Walker und Schneider und wohl 
jeder Werkunternehmer den ihnen anvertrauten Stoff ersetzen müssen (Gai. 3, 205), und an- 
nehmbar, daß Leiher, Verkäufer und andere wegen Entwendung der ihnen anvertrauten Sachen 
haften. Das wird wohl ein Rest alter Erfolghaftung sein, vermittelt durch übliche Vereinbarungen 
(pactum de custodiendo). Aber ob dem furtum andere „niedere Zufälle“ gleichstehen, wie 
man nach Analogie des deutschen und orientalischer Rechte erwarten würde, ist ganz fraglich; 
für die Sachbeschädigung lehren gerade ältere Juristen das Gegenteil 4. Es ist stets nur vom 
kurtum die Rede. Und gerade dies macht es wahrscheinlich, daß die Klassiker den Diebstahl gar 
nicht mehr als Beispiel des Zufalles bringen, wie den Schiffbruch, Brand, Einsturz (casus for- 
tuitus oder casus schlechtwegl), sondern sei es als nicht assimilierten Rest des alten Rechts, sei 
es geradezu als schablonenhaftes Beispiel des Verschuldens; da sie sich darüber nicht aussprechen, 
dürfen wir keinesfalls aus dem Furtumfall ein Prinzip ableiten. 
In der Hauptsache wird nur für Dolus oder für Dolus und Culpa gehaftet. Dolus ist 
bewußte Rechtswidrigkeit, in der Strafklage de dolo noch in älterer enger Begrenzung Arglist s, 
in den Vertragsklagen dagegen abgeblaßt zum Verhalten gegen Treu und Glauben als Gegen- 
stück zu der immer weiter gespannten bona fides. Der Begriff der Fahrlässigkeit hat sich allmählich 
gestaltet. Ausdrücke wie imprudentia, neglegentia, culpa et custodia (positives schuldhaftes 
Tun und schuldhafte Unterlassung der erforderlichen Bewachung), imperitia (Mangel der Sach- 
kunde, Cels.-Ulp. D. 19, 2, 9, 5) und infirmitas (Mangel an Kraft), die beide der culpa an- 
geglichen werden (Gai. D. 9, 2, 8, 1) und ihre Häufungen # zeigen dies noch spät an. Die letzten 
Klassiker haben einen Culpabegriff, womit die den Anforderungen des Verkehrs widersprechende 
Nachlässigkeit, Unaufmerksamkeit und Unfähigkeit umfaßt wird. Der Maßstab dafür ist objektiv; 
die Formulierung, daß die Sorgfalt, die ein ordentlicher Hausvater auf seine Angelegenheiten 
verwendet (Gai. D. 13, 6, 18 pr.) zu leisten sei, wird freilich in ihrer Echtheit bezweifelt?7. 
8 87. Fortsetzung. Bona fldes #8. Die mechanische Rücksicht auf den nachträglichen Unter- 
gang des Leistungsgegenstands ist im bonae-fidei-Recht überwunden. Das Schicksal der Ver- 
träge ordnet sich nach dem, was versprochen ist. Nicht eine „nachträgliche Unmöglichkeit der 
Leistung“ und nur sie durchschneidet die Obligation, sondern der Vertrag bindet solange, als 
  
  
1 Darauf hat nach Jhering, Hartmann u. a. neuerlich Kübler hingewiesen. 
Bgl. Schweiz. Oblig.R., jetzt Art. 99. 
* Mitteis 331 . Kübler 9. 15. Z 
*2 Baron, jetzt Seckel, Kübler (1nicht betr. Sachmiete); Schulz. Dagegen 
Ferrini, Lusignani, De Medio, Mitteis. Z 
* S. Schulz selbst Grünhuts Z. 38, 32—38. Eine Erinnerung an den Sinn der Custodia- 
Hütung, nur für Entwendung bewahrt Just. J. 3, 23, 3az sehr deutlich für den Kauf auch Alf. — 
D. 18, 6, 15, 1. # « » 
ISogegenMitteiSZULitten,Festg.f.Gütetbock(1910)257;Btoud1,studt 
sulle actiones arbitrariae (1913) 103. ç Z Z 
S. Vocab. jur. 1, 1073. Einige solcher Häufungen mögen itp. sein, aber nicht alle. 
! Für die Echtheit F. Leonhard, Festgaben für Enneccerus (1913) 28; über die 
wechselnde Stellung der Juristen zum abstrakten Maßstab Litten, Mél. kitting 619, und über 
die dogmatische Tragweite der Quellenaussprüche betreffs der zu prästierenden Fähigkeiten 
Leonhard 27—35, worauf hier nicht eingegangen werden kann. 
6 Frühere Lit. bei Windscheid, P. 5 264; Rabel, Mél. Girard 492; Festg. f. Bekker 
200; Rhein. Ztschr. f. Ziv. u. Proz.-R. 3, 475.
	        
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