Grundzüge des römischen Privatrechts. 481
wesentlich die Zusicherung (receptum) res salvas fore voraussetzt, wenn auch vielleicht
nicht mehr bei den Spätklassikern. Sie umfaßt an sich alle Gefahr, wird aber von den Juristen
mittels exceptio wegen Schiffbruchs, Räuberunfalls u. dgl. auf die niederen Zufälle eingeschränkt
(Lab.-Ulp. D. 4, 9, 3, 1) in dem Sinn, daß der Reeder oder Wirt sich durch den Nachweis eines
solchen außerordentlichen Ereignisses von der Haftung befreit.
Im übrigen ist es nach dem augenblicklichen Forschungsstand ungeklärt, sowohl bei der
problematischen Haftung für custoclia als sonst, wieweit die Klassiker dem byzantinischen Begriff
der höheren Gewalt (Deodb Bla) vorgearbeitet haben 1.
2. Aus dem Racherecht wegen Delikts heworgegangen, ist die Noxalhaftung des Haus-
vaters wegen der Delikte von Hauskindern und Sklaven auf Zahlung oder Auslieferung des
Schuldigen eine Haftung ohne eigenes Verschulden; ebenso diejenige wegen der Beschädigung
(pauperies), die ein zahmer Vierfüßler „gegen seine Natur erregt oder wild geworden“ (contra
naturam fera mota, Ulp. D. 9, 1, 1, 7) angerichtet hat; ursprünglich schrieb man wie bei andern
alten Völkern dem Tier ein wirkliches Verbrechen zu 7.
3. Keine Rücksicht auf Verschulden nehmen die Edikte zum Schutz des Straßenverkehrs?
(posita et suspensa, deiecta et effusa, Halten gefährlicher Tiere) und der Sklaven= und Vieh-
käufer (ädilizische Haftung). Ebenso stehen Schiffer und Wirte für Sachbeschädigungen und
Diebstähle, Steuerpächter für Gewalttätigkeiten und Diebstähle der von ihnen verwendeten
Unterpersonen ohne eigenes Verschulden mit besonderen Strafklagen (Lenel Ed. 8§§ 78.
138) ein.
« 4. In der custochia-Prästation liegt eine vertragliche (nicht noxale) Haftung des Prinzipals
für Diebstähle der Gehilfen, soweit die erstere eben reicht. Daran scheint ein Teil der späteren
Jurisprudenz auch eine solche für Beschädigungen anzuknüpfen, bes. Marcell-Ulp. D. 50, 16, 9
+ 19, 2, 41; Pomp.-Ulp. D. 19, 2, 11 pr.“. Die Frage war jedenfalls streitig.
8 89. Ursächlicher Zusammenhang. Aus dem alten Satz, daß der Schuldner für seine
tätige Obligationsverletzung aufkomme, geht hervor, daß er die Folgen derselben trägt, auch
wenn sie sich infolge „Zufalls“ ereignen. So haftet für jede Schädigung der die Sache vertrags-
widrig gebrauchende Leiher (D. 13, 6, 5, 7; 18 pr.); der unbefugt einen Ersatzmann benutzende
Beauftragte (Paul. D. 11, 6, 2, 1, qui — eredidisti m. E. itp.); der auf ein unrichtiges Schiff
verladende Transporteur (Lab. in D. 14, 2, 10, 1). Entsprechend erleidet ein Geschäftsführer
4, 9, 1 &§ 1. 7. 8; 4 pr. u. a. ab. — In den Papyri übernimmt der Schiffer auf dem Nil den
Transport abzuliefern cöov ral d#a#UTNvO ## „kau rob Kr #Oodb. dhnl., salvas sanas rece-
pisse P. Grenf. 2, 108 -Mitteis, Chrest. u. 339 a. 167, also ohne die Grenze des höheren
Zufalls (anders Mitteis, Verh. sächs. Ges.-Wiss. 62, 9 I1910) 270; Goz. 259, der die Ausnahme
für selbstverständlich erachtet), erst unter Justinian Sl#### Osob flas usw., P. Oxy 144, 11 a. 580.
Entsprechend haftet das Kollegium der Schiffer nach C. Theod. 13, 5, 32 a. 409 der staatlichen
Getreideverwaltung für alle Transportgefahr, unter Umlegung des Schadens auf die Mitglieder
nach dem Wert ihrer Schiffe. — Von sonstigen Garantieversprechen in den Papyri s. bes. die
Gefahrtragung des Verwahrers beim Depositum irregulare (Mitteis, Chrest. n. 330 ff.);
Eisernviehvertrag P. Straßb. 30, Flor. 16, Paul. D. 19, 2, 54, 2, Wenger, Festg. f. Bekker
81. Dagegen Abschwächung der Garantie zur Verschuldenshaftung in den alexandr. Ammen-
verträgen B U. 1058, 1106—1109, Arbeitsantichrese BGu. 1126, indem der „deutliche“ Unter-
gang ausgenommen wird.
1 Über die Miete Gai. D. 19, 2, 25, 6 (s. § 92), vgl. noch bes. Diocl. C. 4, 65, 28; Lager-
haus: Car. Coll. 10, 9). Freilich unterscheidet die Philosophie, auch Cic. de inv. 2, 31, 96 ff.,
Casus und necessitas (dbarz—), Kübler, Ubtilitätsprinzip 26, doch daraus könnte sich nur ein
Einfluß auf die Formulierung ergeben.
2 Eisele, Ih. J.24, 480; Jörs in Birkmeyers Enz. 1 147; Franzataro-Glücktk,
Comm. 9 (1905); Litten, Ih. J. 49, 419; ZSavSt. 26, 494; S. Monosohn, Actio de
pauperie 1911. UÜber das griech. R. Glotz, La solidarité de la famille 179; Hirzel, Themis,
Dike und Verwandtes, 212.
* Pernice, Lab. 2, 2, 50. — Messina-Vitrano, Jote intorno alle azioni in
factum — contro il nauta. il canpo, lo stabulario, Pal. 1909, Selbstbericht in Arch. giur. 84,
352: die Culpa in eligendo bei Just. ist itv.
ç 4 Schulz, Grünhuts Z. 33, 32. Uber die vielbestrittene Hauptstelle Gai. D. 19, 2, 25, 7
hmcheid, § 401 N. 5, Dernburg, P. s 38 N. 8, zuletzt Schulz, ebd. 26 (aprio-
ristisch).
Eniyklopädie der Rechtswissenschaft. 7., der Neudearb. 2. Aufl. Band I. 31