Grundzüge des römischen Privatrechts. 483
käufer darf sogar den nicht abgeholten (tollere) Wein aus den Fässern ausfließen lassen, nach
einer Lehre des Sabinus, die Ulpian D. 18, 6, 1, 3 einschränkt, und die verkauften Möbel auf
die Straße stellen (Alf. Paul. D. 18, 6, 13. 15), was indessen im Süden nicht besonders auf-
fallend ist. Verallgemeinerungen sind eben offenbar den Römem selbst nicht sympathisch, wie
für das Damnationslegat von Wein Pomp. D. 33, 6, 8 (echt) zeigt. Der Gläubiger hat die Kosten
der Aufbewahrung zu ersetzen (Ulp. a. O. u. D. 19, 1, 38, 1); gegen Selbsthilfeverkauf (D. 18,6,
1, 3 litp. ? P. Krüger) durfte er sicherlich auch nichts einwenden. — Kommen Schuldner
und Gläubiger nacheinander in Verzug, so wird der vorangegangene Verzug in der Regel durch
den nachfolgenden getilgt (Cels.-Jul.-Paul. D. 45, 1, 91, 3; Pomp. D. 18, 6, 18).
§ #2. Gegenseitigkeit der Leistungen. Für uns versteht sich von selbst, daß wer in
gegenseitigen Verträgen nicht leistet, auch die Gegenleistung nicht erlangt. Es fragt sich, wie
weit die Klassiker diese Folgerung aus der Gegenseitigkeit gegenüber der prozessual gegebenen
Selbständigkeit der actiones emti und venditi, locati und conducti durchgeführt haben. In
den Quellen ist ihre Darstellung durch das halb wahre, halb verzerrte Justinianische Synallagma
verdunkelt. Immerhin zeigt sich eine Reihe von Gedanken, die zum richtigen Ziele streben.
Aber augenblicklich läßt sich darüber nur mit dem größten Vorbehalt reden. Ein sehr alter
Ansatz geht aus der Natur der alten Verkehrsakte als Bargeschäfte herwor; nach der Auflösung
des die Erfüllung einschließenden Naturalgeschäftes in Vertrag, Leistung und Gegenleistung
ist dort, wo der Vertrag allein überhaupt Bindung verschafft — wie der Kauf schließlich in
Rom —, eine gewisse Verknüpfung der Leistungen natürlich. So stößt, wie es scheint, der
Käufer, der die Ware verlangt, auf ein pfandrechtsähnliches Zurückbehaltungsrecht des Ver-
käufers (Ulp. D. 19, 1, 13, 8 Schlußsatz), das er nur durch Kaution abfinden kann, wie ein
Pfandrecht 1. Auch dem aus Stipulation klagenden Auktionator steht eine e xceptio des In-
haltes entgegen, daß der Käufer nur dann verurteilt werden soll, wenn die gekaufte Sache
tradiert ist (Gai. 4, 126 a); ähnliche sonst gegen Stipulationsklagen (Jul. D. 19, 1, 25, Len.
713). Hindert den Verkäufer oder Vermieter Enteignung an der Ubergabe (D. 19, 2, 33),
schlägt ein Privileg die Kaufpreisschuld nieder 2, so entfällt die Gegenleistung. Ja, die Vor-
leistung des Verkäufers durch Tradition war gerade in älterer Zeit durch die Preiszahlung
aufschiebend bedingt (J. 2, 1, 41); doch wurde dieser gesetzliche Eigentumsvorbehalt praktisch
durch die übliche Stipulation des Kaufgeldes aufgehoben (liceem sequi) und durch sonstige
Garantien ersetzt, im 2. u. 3. Jahrh. spielt er keine Rolle.
Ein naturwüchsiger Grundsatz verknüpft auch die Gewährpflichten, die dem Kaufvollzug
folgen, mit der Preiszahlung. So hängt die Haftung wegen Eviktion aus Manzipation und
Stipulation von der Preiszahlung ab (Paul. 2, 17, 1; Ulp. D. 19, 1, 11, 2); die Preisforde-
rung umgekehrt von der Enriktionsgarantie, und entfällt, wenn dem Käufer schon evinziert
ist oder auch nur ein Eviktionsprozeß im Gang ist (Pap. Vat. 12), sowie wenn der Käufer
wandeln darf (Paul. D. 44, 4, 5, 4).
Lediglich die Kehrseite des Verschuldensprinzips ist es nun, wenn der Schuldner durch
unverschuldete dauernde Hindernisse der Leistung befreit wird. Daß er seinerseits die Gegen-
leistung einbüßt, soll nach bisheriger Meinung beim Kauf nicht römischer Grundsatz sein.
Nach Just. J. 3, 23, 3 geht mit dem Vertragsschluß Gefahr und Nutzen der Sache auf den
Käufer über (periculum und commockum emptoris). Wie indessen die Klassiker dies ver-
standen haben mögen, ist noch nicht genügend erörtert. Folgende Beobachtung dürfte sich
aufdrängen. Daß der Käufer den Preis zahlen muß, ist sehr erklärlich bei inneren Verände-
rungen, wie Weiwverschlechterung (Pap. Vat. 16; Alex. C. 4, 48, 2) 3 und Tod des Sklaven
Gaul. D. 18, 1, 34, 6; Diocl. C. 4, 48, 6); die Verbesserung der Sache und der natür-
1 Dies will Partsch in einem künftigen Werk nachweisen.
: Lab. D. 19, 1, 50. Dazu Cornil, Nouw. rev. 25 (1901) 136; 526; Brini, Mem. Acc.
Bologna, ser. giur. 6 (1911/12) 23. Letzterer nimmt mit Recht an, daß Lab. von der Cessio
bonorum ex lege Julia sprach.
2 Diese Gefahr r*r*v*: des Sauer- und Kahnigwerden des Weines wird übrigens wesentlich
eingeschränkt und geregert durch die usancegemäße Probe, de ustatio Cato r. r. 148; Gai. D.
18, 6, 16; Ulp. D. 4, 1. Goldschmidt, ZHandR. 1, 73; Bechmann, Kauf 2,
537; Ehrlich, st. 18. az 2, 737.
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