46 I. Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte.
§ 37.
3) Anwirtschaftliche Betätigungen: Schenkung, Spiel.
Die Schenkung an sich ist dem ursprünglichen Menschen fremd. Fremd ist ihm nicht die
Gastfreundschaft, fremd nicht die Unterstützung, z. B. zum Zweck der Zahlung des Wergeldes;
fremd ist ihm aber der allgemeine Schenkungsbegriff, der Begriff der allgemeinen (nicht auf
besondere Zwecke zielenden) Vermögensvermehrung des Fremden unter Abbruch seines eigenen
Vermögens. Zwar gibt der Naturmensch ohne weiteres Dinge hin, aber er erwartet eine Gegen-
gabe: die Schenkung ist ein Zwang zum Austausch, ein Ausfluß des Abwechslungstriebes, der
bei den Naturvölkern mächtig entwickelt ist. Daher überall der Gedanke: das Geschenkte gilt
als unter der Voraussetzung der Gegengabe geleistet; erfolgt diese nicht, so kann man das Ge-
schenkte zurückfordern. Es bedurfte einer langen Entwicklung, um dieses Rückforderungsrecht
in enge Grenzen zu schließen und es allmählich auf dringende Ausnahmefälle, z. B. den Fall
der Verarmung oder des groben Undanks, zu beschränken.
Im fortgeschrittenen Kulturleben spielen die Freigebigkeiten eine große Rolle;
sie vertreten den abstrakten Altruismus im Gegensatz zu dem konkreten, der Menschenhilfe;
sie sind einerseits Außerungen des Einzelstrebens, tragen aber dazu bei, die durch das
Einzelstreben geschaffenen Ungleichheiten zu mildern.
Ganz anders das Spielgeschäft; es zielt dahin, den einen auf Kosten des anderen
zu bereichern je nach dem Ausfalle eines Ereignisses; das seelische Moment liegt hier in der
gereizten Erwartung, die dem für Gewinn oder Verlust entscheidenden Ereignis entgegenstrebt,
in der Nervenspannung, die namentlich in Zeiten eines ungeregelten Gemütslebens den Menschen
beherrscht. Darum galt das Spiel früher, z. B. bei den Germanen, als eine schwere und heilige
Sache, und wer verlor, gab willig Hab und Gut hin und folgte in die Gefangenschaft. Spätere
Zeiten, die an Stelle des Spieles andersartige seelische Einwirkungen und Gemütserregungen
setzen oder sich durch Zucht bezähmen, stellen sich dem Spiel feindselig gegenüber, in der Erkenntnis
seiner wirtschaftlich zerstörlichen Natur. Sie verbieten oft das Spiel mit strengen Strafen,
entweder durchaus oder mit einzelnen Ausnahmen, oder entziehen ihm doch mindestens den
Rechtsschutz. Hierbei berücksichtigt man insbesondere, daß unter fortgeschrittenen Völkern bei
dem Spiele noch ein verderbliches Element hervorbricht: die Sucht, schnell und mühelos reich
zu werden, die Scheu vor einem geregelten Leben, das Unvergnügen an den Geduldproben,
die uns das Leben setzt, und die durchgemacht werden müssen, wenn man etwas Fruchtbringendes
erreichen will.
Allerdings weiß sich die Spielsucht vielfach neue Gebiete zu erschließen, und das bekannte
verkleidete Börsenspiel ist der neueste Ausläufer des Spielgedankens. Die Bekämpfung des
Spiels auch in dieser Form ist eine wichtige Aufgabe der Gesetzgebung, um so wichtiger, je
schwerer es ist, hier das Spiel von produktiven Verkehrsbetätigungen zu scheiden, und je ver-
derblicher es ist, wenn unter dem unberechtigten Vorwurf des Spiels der redliche Verkehr
zu leiden hat#.
III. Organische Verbindungen zu einem kulturförderlichen
Ganzen.
8§ 38. Totemstaat, Häuptlingsrecht, Königtum.
Wie sich aus den Familien die Totems entwickelt und wie sich die Totems mit Hilfe
der Gruppenehe aneinander geschlossen haben, ist bereits oben (S. 25) ur Darstellung gelangt?;
es bleibt noch übrig, die Organisation dieser Totems und Totemsbände ins Auge zu fassen:
sie war durchweg eine republikanische. Die verschiedenen Mitglieder oder Familienhäupter
1 Bgl. meine Schrift über das Börsenspiel (1894).
„ Mit Recht hat man hervorgehoben, daß die menschlichen Gemeinschaften in ihrem Ur-
sprung in die vormenschlichen Zeiten zurückgreifen; vgl. v. Schubert-So ldern, Zur
Rechtsphilosophie, in der Zeitschr. f. die gesamte Staatswissenschaft 1897 III S. 491.