520 Ernst Rabel.
durch den Kinderlosen, auch in der Übergabe des Ringes an den Erben. Aber sie ist offenbar
ursprünglich nur bei den agnatischen Deszendenten, und hier hat sie eine sehr reale Grundlage.
Die sui heredes entsprechen 1 den geborenen Erben des ersten Kreises im deutschen und
im griechischen Recht. Mit Recht wird neuerdings oft bemerkt, daß die Zwölftafeln den suus
heres gar nicht ausdrücklich zur Erbschaft berufen, sondern nur für den Fall, daß keiner da ist,
den nächsten Agnaten: si intestato moritur cui suus heres nec escit, adgnatus proximus familiam
habeto 2. Gai. 2, 157 und Paul. D. 28, 2, 11, die sich beide an Sabinus anschließen und daher
sicherlich eine alte ÜUberlieferung fortpflanzen, erkennen den Sachverhalt mit „Evidenz“ und
schildern ihn mit voller Klarheit. Die sui heredes heißen so, weil sie hausangehörig (domestici)
sind und schon bei Lebzeiten des Vaters ein Mitrecht am Vermögen haben, etiam vivo patre
quodammodo domini existimantur; sie erwerben nicht eigentlich eine Erbschaft, nicht das
Vermögen des Vaters geht auf sie über, sondern es fällt nur seine Oberleitung des Hauses fort,
ihr latentes Recht verwandelt sich in ein aktuelles: itaque post mortem patris non hereditatem
percipere videntur, sed magis liberam bonorum administrationem consequuntur. Dies ist
der reine Gedanke der Hausgenossenschaft. Ihm entspricht nicht eine mystische Fortsetzung
der Toten, geschweige denn die unausdenkbare Fortdauer erloschener Rechte und Schulden;
denn daß mit dem Tode einer Person deren Rechtsverhältnisse erlöschen, ist für jeden Römer
eine Selbstverständlichkeit. Ihm entspricht nur deren Fortsetzung durch neue Inhaber, sobald
die Oberleitung des Hausvorstandes, so wie es in Rom frühzeitig der Fall war, in eine Herren-
gewalt ausgestaltet wird. Am ehesten wird sich sagen lassen, das Haus wird durch seine je-
weiligen Vorstände repräsentiert, nach dem Tod des Vaters durch seine im Haus verbliebenen.
Kinder. Am Hause — domus, in Griechenland olxoc, oixia, ioria — als an einer sozialen,
wirtschaftlichen und kulturellen Einheit hängen nebst den materiellen Rechten die Opferpflichten
(cra), das Blutrache- und Sühnerecht, wovon wohl ein Ausläufer die Injurienklage wegen der
dem Erblasser oder seiner Leiche zugefügten Unbill ist, später freilich sämtlichen Erben (und
bonorum possessores?) zugeschrieben, Ulp. D. 47, 10, 1, 4; das Familienbegräbnis : im Gegen-
satz zu den sepulchra hereditaria und das Patronatsrecht am Freigelassenen, welche beide im
klassischen Recht unabhängig von testamentarischer Verfügung auf die sui heredes übergehen;
und das Band der Gastfreundschaft mit anderen Häusern. In mehreren dieser Beziehungen
wirkt noch im Prinzipat mangels der Abkömmlinge der weitere Kreis der agnatischen Seiten-
verwandten, aber in der Hauptsache werden sie gleich den testamentarischen Erben behandelt.
Schließlich bewährt sich das alte Recht der sui beredes noch in ihrem Noterbrecht. Die außer-
ordentliche Steigerung der väterlichen Gewalt in Rom hat es vermocht, daß der Vater das
Kindeserbrecht beseitigen kann. Es zeigt sich aber eben noch, wenn es nicht eigens beseitigt wird,
sui aut instituendi sunt aut exheredandi. Die Söhne müssen „namentlich“, d. h. jetzt unter
individueller Bezeichnung, enterbt werden, z. B. (Titius) filius meus exheres esto. Die über-
gehung macht das Testament nichtig (Gai. 2, 123; 127).
Das dürften die wichtigsten bis jetzt benutzbaren Bausteine zur Rekonstruktion sein. Ihre
Zusammensetzung bleibt leider noch völlig der Phantasie überlassen. Der Wiederaufbau fällt
sehr verschieden aus, je nachdem ob man mehr eine spirituelle „Repräsentation der Persönlichkeit
des Verstorbenen“ durch den Erben betont oder überall die Reflexe materialistischer Interessen-
regelungen zu erkennen glaubt, etwa nach neuesten Auffassungen den Zweck heworkehrt, für
die Nachlaßgläubiger eine haftende Person zu finden, oder nach einer andern neuen Theorie
die sittegemäße Beteiligung der Erbanwärter als Triebkraft denkt. Nicht weniger bedeutsam
wäre es, zu wissen, ob sich das Manzipationstestament isoliert entwickelt hat vom Treuhänder
zum Hauptbedachten oder direkt auf den Erben zu, oder ob seine Regeln mit denen der dunklen
Volkstestamente oder etwa auch mit denen der formell stark abgehobenen Arrogation " zusammen-
1 Rabel, Elterliche Teilung (Festschr. der 49. Vers. d. Philologen) Basel 1907.
2 Ob diese Fassung außerdem, wie Pappenheimn (oei Beseler, Beiträge 2, 34) anregt,
Kinderlosigkeit voraussetzt, läßt sich schwer ausmachen.
Mitteis, PR. 103 N. 22; Albertario, Filangieri 1910 f. 7; ZSav St. 32, 390:
über das gemeinsame Begräbnis Filang. 1910 f. 11/12.
* Dies betont mit Recht Lenel; dennoch dürfte m. E. der Adoptionsgedanke nicht gänzlich
auszuschalten sein. Vgl. Bruck 551, 560. Zum griechischen Rechtskreis dessen frühere Schriften,
s. auch meine Bem. ZSavSt. 30, 468, 474.