Grundzüge des römischen Privatrechts. 529
schränkt zulässige Exheredation entspricht der Vollgewalt des römischen Hausvorstands. Die
Griechen, die diese Gewalt nicht haben, kennen nur eine Verstoßung (c#n####p###) des un-
würdigen Kindes aus dem Hause mit Enterbungswirkung, und diese kann nicht „ohne Grund“
erfolgen, wie das syrisch-römische Rechtsbuch sagt 1. Zur römischen Enterbung gehört ledig-
lich eine kurze Verfügung im Testament; diese aber ist erforderlich gegen Söhne unter indi-
vidueller Bezeichnung (D. 28, 1, 1 ff.), gegen Töchter und Enkel wenigstens durch die Klausel:
ceteri exheredes sunto, eine Klausel, die man formularmäßig anwendet, weil es einmal vor-
kommen könnte, daß ein Abkömmling unbekannt oder irrig für tot gehalten ist. Viele Ge-
lehrte meinen, dieser Zwang habe einen leichten Druck auf den Hausvater ausgeübt, da man
seinem Haus nicht gern die Schande antut, einen Sohn ausdrücklich zu enterben. Doch könnte
dieser Gedanke, der auf die des Schutzes ebenso bedürftigen nicht ausgesteuerten Töchter gar
nicht anwendbar wäre, weder ursprünglich sein, da der Zwang vom Familieneigentum her-
kommt, noch ist er sehr einleuchtend, da die Enterbungen am häufigsten den in allen Ehren
abgeschichteten Sohn und die mit ihrer Mitgift abgefundene Tochter getroffen haben müssen
— hier war Enterbung das einzig richtige Mittel, da Erbverzicht als unsittlich galt (Alex.
C. 6, 20, 3) —, noch kann er den geschichtlichen Verlauf namhaft beeinflußt haben. Wenn
der Prätor unter der Drohung der bonorum possessio contra tabulas (D. 37, 4) die Vor-
aussetzungen des Zivilrechts erweiterte, statt der sui alle liberi setzte und statt der hausange-
hörigen Söhne die männlichen Deszendenten, so zog er nur die Konsequenzen aus seiner
Erbklasse unde liberi. Die Wirkungen der verbotenen Ubergehung hat er nicht ausgebaut,
sondern gegenüber der zivilen Testamentsnichtigkeit wesentlich abgeschwächt. Das Pflicht-
teilsrecht aber knüpfte er nicht im mindesten hieran. Und doch hätte dies nahegelegen, würde
der honos institutionis wirklich auf materielle Begünstigung der Anwärter zielen. Ver-
wendete doch der Prätor das gleiche äußere Mittel der bonorum possessio contra tabulas,
um dem Patron, der auf Erbeinsetzung überhaupt keinen Anspruch hat, ein Pflichtteilsrecht
gegen den Freigelassenen zu geben und ein analoges dem parens manumissor (Lenel §§ 150,
154). Einen solchen Weg konnte der Prätor um so eher zugunsten der Verwandten gehen,
wenn er wollte, daß der Erblasser ihrer nicht bloß ge denke, sondern sie bedenke (Puchta).
Statt dessen nahm er den völlig verschiedenen Weg der Querela inofficiosi testa-
menti:s, ob aus eigener Machtvollkommenheit oder infolge eines Gesetzes, wissen wir nicht.
Im klassischen Recht stehen das zivile und prätorische Noterbrecht und die Querel nebenein-
ander.
In der Tat bewährte sich die Gewaltfülle der männlichen und die unbeabsichtigterweise
noch größere der weiblichen Testatoren nicht. Daher überprüft auf die Klage naher Ange-
höriger gegen die in einem „lieblosen Testament“ eingesetzten Erben entweder der Magistrat
selbst die Vermögensteilung sachlich (sog. Kognitionsquerel), oder er leitet, was in unserer
Periode das Normale ist, den Prozeß zu dem für Erbschaftsklagen zugänglichen Zentumviral-
gerichtshof. Die Klage ist aber wahrscheinlich nicht identisch mit der Erbschaftsklage 5. Ihr
Gedanke scheint mittelbar durch das attische Muster, direkt durch die Rhetoren beeinflußt zu
sein, indem der Anfechtende dem Erblasser Lieblosigkeit mit Anspielung auf geistige Störung
1 Rl 63 u. Zit. Die a#####, im klassischen Athen anscheinend selten, hat sich im Helle-
nismus dauernd erhalten und lebt nach dem Zeugnis von Triantophyllopoulos,
'0 OeoM##ro véto (1912) S. VI noch heute „als Begriff im ganzen griechischen Volke fort“.
S. Mitteis, Reichsrecht 212 und über die c n#o###### und den öffentlichen Aushang (cko#r##x)
in P. Cairo Masp. 67097 verso D. aus dem 6. Jahrh. und eine Schrift von Cug hierzu Lewald,
ZSavt. 34, 441. ·
«G.Hartmann,überdieQuok.jnoff.tost.1864;Eisele,8SavSt.15,256;
Kipp in Realenz. 5, 224; Unzner, Die Quer. inoff. 1891; Wlassak in Realenz., 3, 1942
mit Lit.; Brugi, Möél. Eitting 1, 113; Jobbé-Duval, Mél. Gérardin 355; Mél. Fitting
1, 437: H. Hellwig, Erbrechtsfeststellung und Reszission des Erbschaftserwerbes 1908;
v. Woeß 178 ff.; Naber, Mnemosyne 40, 397. — Bemerkenswert für das byzantinische
Recht Triantaphyllopoulus, 0 Cec###uSto vénoc, Ath. 1912.
2 Uber die byzantinische Theorie (vgl. Just. C. 3, 28, 34) und die Interpolationen, die dies
verdunkelten, Brugi; Woeß 216; doch ist die Kritik noch nicht abgeschlossen. Über den pro-
zessualen Hergang s. außer Woeß bes. Jobbé-Duval, Mél. Fitting 1, 445.
Cnzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band I. 34